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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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ein Schuss und trifft ihn ins Bein. Oder der Angreifer ist physisch so überlegen, dass er ihm die Waffe entreißt und ihm damit ins Bein schießt. Vielleicht aus Versehen, vielleicht um ihn zu foltern. Egal. Das Opfer blutet stark und geht zu Boden.
    Aber der Angreifer ist ganz und gar nicht zufrieden mit der Situation. Das hat er so nicht vorgehabt. Er wollte etwas von dem Opfer. Ihm etwas wegnehmen, von ihm etwas erfahren oder etwas aus ihm herausprügeln, was weiß ich. Er muss Zeit gewinnen und legt ihm deshalb die provisorische Arterienpresse an. Verstehen Sie, er macht das nicht aus Mitleid, sondern weil das Opfer ihm nichts mehr erzählen kann, wenn es vor seinen Augen verblutet. So ist nämlich die Arterienpresse überhaupt kein logischer Widerspruch mehr zum späteren finalen Kopfschuss.
    Aber es funktioniert nicht. Der Blutverlust hat das Gehirn des Mannes an der Wand schon ziemlich ausgebremst. Er kann oder will nichts mehr sagen, und unserem Täter läuft die Zeit davon. Also holt er seine große Knarre raus, schraubt den Schalldämpfer auf und schießt dem Opfer in den Kopf.«
    »Warum hat er nicht die kleinere genommen?«
    »Weil er für die große einen Schalldämpfer hat. Und weil er sich einen Vorteil davon verspricht, wenn man das Opfer am Gesicht nicht mehr identifizieren kann. Es gibt sicherlich einen Zusammenhang zwischen Täter und Opfer.«
    »Und das T-Shirt? Woher kam das?«
    »Keine Ahnung, aber ist das wirklich so wichtig? Vielleicht hat das Opfer es vorher für seine Freundin gekauft.«
    Geldorf schüttelte den Kopf.
    »Das Hemd war nicht neu, sondern eindeutig schon mal gewaschen, sagt die Kriminaltechnik.«
    »Na ja, wenn es alt war, könnte es ja auch einfach jemand weggeworfen haben.«
    Geldorf grunzte ungeduldig.
    »Ich habe nicht gesagt, dass es alt war, sondern schon einmal gewaschen, und es war ein sehr teures T-Shirt. Wer sollte so ein edles Teil wohl ausgerechnet auf dem Männerklo entsorgen?«
    Ich zuckte resigniert mit den Schultern.
    »Alles sehr interessante Fragen, aber was habe ich damit zu tun? Warum haben Sie meinetwegen die Grenzübergänge von Skandinavien nach Deutschland überwachen lassen? Wie haben Sie es ohne einen Haftbefehl überhaupt hingekriegt, einen derartigen Apparat in Bewegung zu setzen, wenn Sie nur mit mir reden wollten?«
    »Das Warum lassen Sie mal meine Sorge sein«, sagte Geldorf kalt, »aber das Wie erzähle ich Ihnen gerne. Ich habe dem Staatsanwalt gegenüber angedeutet, dass ich Sie nicht nur wegen des Toten auf dem Bahnhofsklo sprechen muss, sondern dass Sie möglicherweise auch Informationen bezüglich des Todes von Frau Jonas zurückhalten. Das hat ihn mächtig interessiert. Egal, ob der Fall offiziell abgeschlossen ist oder nicht. Sie glauben ja nicht, was der Mann für Verbindungen hat. Wie ich Ihnen früher schon sagte: Frau Jonas hatte was gut beim Staatsanwalt.«
    »Und wegen dieser lächerlichen Lüge werde ich wie ein Krimineller an der Grenze rausgewunken und muss mir Ihre Probleme anhören?«
    Geldorf streckte die Beine aus, lehnte sich zurück und betrachtete mich versonnen.
    »Bleiben wir mal beim Bahnhofsklo«, sagte er. »Ich glaube, dass Sie da mit drinhängen, und das nicht nur wegen des anonymen Anrufs. In der Toilettenkabine selbst haben wir gar nicht erst versucht, Fingerabdrücke zu nehmen. Zu viele Leute, die da jeden Tag herumgrapschen. Auch der Stiel von der Toilettenbürste war nicht so ergiebig. Aber auf dem Gürtel waren ein paar sehr schöne Abdrücke und auch gar nicht so viele. Wie wäre es, wenn wir die mal mit Ihren vergleichen würden und, sagen wir mal, Ihre Stimme mit derjenigen des Anrufers in der Notrufzentrale?«
    »Auf welcher Rechtsgrundlage wollen Sie das tun? Um mich erkennungsdienstlich zu behandeln, brauchen Sie doch wohl einen dringenden Tatverdacht. Wenn Sie den begründen könnten, hätten Sie auch einen Haftbefehl. Den haben Sie aber nicht. Also lassen Sie es gut sein!«
    Ich stand auf und wandte mich zur Tür, dann drehte ich mich noch einmal um.
    »Ich hätte da auch noch eine Frage: Warum haben Sie eigentlich die Wohnung von Frau Jonas versiegeln lassen? Normalerweise wird der Tatort polizeilich versiegelt. Die Wohnung war aber nicht der Tatort. Die Saunakabine haben Sie gar nicht als Tatort eingestuft, weil Sie ja von einer natürlichen Todesursache ausgegangen sind. Bei unserem ersten Gespräch haben Sie sinngemäß gesagt, Sie hätten die Wohnung vorsichtshalber versiegelt, weil Frau Jonas

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