Oelspur
Verbindungen nutzen.
Ich inspizierte Helens Kühlschrank, trank die letzten zwei Flaschen Corona und machte es mir auf der Couch gemütlich. Noch während der Fernseher lief, schlief ich ein, und als ich gegen drei von einem Schusswechsel im Film wach wurde, stellte ich mit Erstaunen fest, dass es sich offenbar um die gleiche Stelle handelte, bei der ich vor drei Stunden eingeschlafen war. Der Sender wiederholte den Krimi einfach während der ganzen Nacht, und mit dem schönen Gefühl, garantiert nichts zu verpassen, schlief ich wieder ein.
Siebenundzwanzig
A
m nächsten Morgen stand ich früh auf und gönnte mir in einem kleinen Café in der Nähe von Helens Wohnung ein opulentes Frühstück, an dem auch Anna ihre helle Freude gehabt hätte. Beim Verlassen der Wohnung hatte ich mich ausgiebig nach schwarzen Audis und Geldorfs unauffälligen Kollegen umgeschaut, aber nichts Verdächtiges entdeckt. Ich las alle überregionalen Tageszeitungen, die in dem Café auslagen, sehnte mich nach einer Zigarette und bestellte stattdessen eine Portion frischer Erdbeeren mit Vanilleeis, um das Ganze abzurunden. Dann versuchte ich, Anna auf ihrem Handy zu erreichen. Sie ging nicht ran.
Ich fing an zu rechnen. Etwa gegen halb neun konnte sie mit dem Volvo in Hamburg gewesen sein. Die Zugfahrt nach Rostock dauerte mindestens zwei Stunden, wobei es fraglich war, ob sie gleich eine Verbindung bekommen hatte. Ihre SMS an mich war kurz vor Mitternacht abgeschickt worden. Zu diesem Zeitpunkt war sie wahrscheinlich in Rostock angekommen und vielleicht auf dem Weg zum Parkhaus gewesen, um den VW-Bus abzuholen. Von Rostock nach Warnemünde war es nur ein Katzensprung, aber sie hatte natürlich gewusst, dass sie Dr. Meiners nicht um diese Zeit im Institut für Meeresbiologie antreffen würde. Wahrscheinlich hatte sie sich einfach im Bus zum Schlafen hingelegt, um die Zeit bis zum Morgen zu überbrücken und möglichst früh mit Meiners sprechen zu können. Es war neun Uhr. Vielleicht war sie jetzt gerade bei ihm und hatte ihr Handy abgestellt.
Ich rief die Auskunft an und ließ mich mit dem Institut für Meeresbiologie verbinden. Meiners’ Sekretärin stellte mich sofort durch.
»Hier ist Nyström«, sagte ich, »Sie wollten angerufen werden, wenn wir etwas herausfinden.«
Meiners schwieg einen Augenblick und sagte dann:
»Sind Sie sicher, dass Sie das am Telefon besprechen wollen?«
»Nein, das will ich nicht. Deshalb ist Anna Jonas ja zu Ihnen rausgefahren. Ist sie da?«
»Nein«, sagte Meiners, »tut mir leid. Ich bin seit halb acht hier. Allein wie eine Mutterseele.«
Ich hielt das Handy umklammert und spürte, wie mir kalt wurde.
»Hören Sie«, sagte ich, »würden Sie mir eine Stunde Ihrer Zeit opfern, wenn ich Ihnen schwöre, dass es wichtig ist!«
»Ja.«
»Fahren Sie nach Rostock in das große Parkhaus am Hafen. Auf dem ersten Parkdeck, links wenn Sie reinkommen, muss ein uralter VW-Bus mit Göttinger Kennzeichen stehen. Mit Graffitis und Parolen in Rot und Schwarz besprüht. Ich muss wissen, ob er noch da ist.«
»Kein Problem«, sagte Meiners.
Er notierte meine Handynummer und legte auf.
Ich starrte auf das Telefon in meiner Hand und versuchte fieberhaft, irgendeine Form von Ordnung in meine rotierenden Gedanken zu bringen. Anna war nicht einfach aufgehalten worden, sondern steckte in Schwierigkeiten, daran gab es keinen Zweifel. Dass ihr auf der Zugfahrt etwas zugestoßen war, schien mir eher unwahrscheinlich. Die SMS war kurz vor Mitternacht abgeschickt worden, vielleicht als sie in Rostock den Zug verließ. Don’t worry, be happy! Da war also noch alles in Ordnung gewesen. Einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob jemand anderes die SMS geschickt haben könnte, aber der Tonfall der Nachricht war trotz der Kürzel typisch Anna. Wenn ihr etwas passiert war, dann auf dem Weg vom Bahnhof zum Parkhaus oder im Parkhaus selbst. Das wiederum hieß, dass ihr wahrscheinlich jemand von Hamburg aus gefolgt war.
Zwanzig Minuten später rief Meiners an.
»Ich bin jetzt hier im Parkhaus«, sagte er, »der Bus ist noch da. Alles ganz unauffällig. Aber eine Sache ist nicht in Ordnung.«
Ich hielt die Luft an und hörte ein Geräusch, das ich nicht einordnen konnte.
»Der Wagen ist offen«, sagte Meiners dann, »also nicht aufgebrochen, sondern die Türen sind nicht abgeschlossen.«
Er hatte recht, das war ganz und gar nicht in Ordnung. Meine Gedanken überschlugen sich. Niemand außer Anna hatte einen Schlüssel für
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