Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
Vom Netzwerk:
Kollegin zur Bank und holt Wechselgeld für die Tageskasse«, sagte sie, »dann gebe ich Ihnen Bescheid.«
    Ich fing an zu frühstücken, und als mir die Kellnerin nach ein paar Minuten zunickte, huschte ich hinter die Theke und war mit drei Schritten im Küchenraum. Er war sehr hell und geräumig und duftete fantastisch nach Kaffee und Backwaren. Die Kellnerin schloss die Tür hinter uns und sah mich erwartungsvoll an. Ich holte den Gewehrkoffer aus dem auffälligen Panasonic-Koffer und packte ihn in die Plastiktragetasche. Anschließend zog ich den hellen Mantel aus, setzte die Brille auf und die Baseballkappe ab und registrierte erfreut den verblüfften Blick der Kellnerin auf meinen kahlen Schädel.
    »Sie können den Koffer, die Mütze und den Mantel behalten«, sagte ich, »aber was immer Sie damit machen, warten Sie zwei Stunden damit!«
    Sie nickte.
    Danach stand ich auf der Straße. Lässig und ohne Eile ging ich zum Taxi, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte, begrüßte den Fahrer, öffnete den Kofferraum und legte meine schwere Plastiktasche hinein. Zwanzig Minuten später nahm ich bei Hertz die Schlüssel eines vollgetankten Opel Astra in Empfang, der in dem hässlichsten Braunton gespritzt war, den ich jemals gesehen hatte. Gut so.
    Mein kleines Täuschungsmanöver hätte niemals funktioniert, wenn Geldorf mich ernsthaft hätte observieren lassen, aber schließlich hatte er nur mal nach mir schauen wollen. Wegen der Halbstarken. Wenn ich ihn das nächste Mal traf, würde er mir den Kopf abreißen. Trotzdem hoffte ich inständig, ihn noch einmal wiederzusehen.
    Ich fuhr auf die Autobahn Richtung Ruhrgebiet, hielt mich peinlich genau an alle Verkehrsregeln, verlor eine halbe Stunde in einem Stau hinter Dortmund und kaufte mir an einer Raststätte Mineralwasser und eine Flasche Glenfiddich. Pünktlich gegen fünfzehn Uhr war ich in Antwerpen. Vierzig Minuten später parkte ich den Astra auf dem Grote Markt von Mechelen. Man konnte von hier aus die Sint-Rombouts-Kathedrale, das eigentliche Wahrzeichen der Stadt, bewundern, für die ich allerdings ebenso wenig Interesse aufbrachte wie für den Grote Markt selbst mit seinen gediegenen Renaissance- und Barockfassaden. Mein Blick fiel auf das Stadhuis. Es ist in der ehemaligen Tuchhalle und dem früheren Palast des Großen Rates untergebracht, einer baugeschichtlichen Kuriosität, an der die Flamen knapp vierhundert Jahre herumgebaut haben, bis sie 1910 fertiggestellt wurde. Schräg gegenüber vom Stadhuis war tatsächlich ein Antiquariatsgeschäft.
    Steifbeinig überquerte ich den Markt, warf einen Blick in das mit alten Büchern und Kunstdrucken hoffnungslos zugestellte Schaufenster und öffnete dann die Ladentür, womit ich ein vielstimmiges melodisches Läuten auslöste. Richtig, schließlich ist Mechelen auch die Stadt der Glockenspiele. Hervorgelockt von dem Gebimmel schlurfte ein alter Mann heran, der sein Leben offenbar der Farbe Grau gewidmet hatte. Sein dünnes Haar war von einem helleren Grau als sein Schnurrbart und die buschigen Augenbrauen, aber etwas dunkelgrauer als seine Gesichtshaut. Er trug einen aschgrauen uralten Baumwollanzug mit Weste über einem dunkelgrauen Hemd, und als er jetzt den Mund öffnete, sah ich, dass auch sein Zahnbelag grau war. Vielleicht steingrau.
    »Goedemiddag«, sagte er und zwinkerte misstrauisch.
    »Sind Sie Monsieur Etienne?«
    Er nickte.
    »Mein Name ist Nyström. Mir wurde gesagt, Sie könnten mir weiterhelfen.«
    Er nickte wieder nur, langte unter den Tresen und reichte mir eine Plastiktüte. Sie enthielt einen Gegenstand, der nicht ganz die Länge und Breite einer Postkarte hatte, ungefähr zwei Zentimeter dick war und einen Haltefuß mit Saugnapf besaß. Es war ein Navigationsgerät.
    »Nehmen Sie es mit ins Auto«, sagte er, »und folgen Sie den Anweisungen! Es bringt Sie zu einem Haus.«
    Trotz seines wallonisch klingenden Namens war sein flämischer Akzent so schwer, dass ich ihn kaum verstand.
    »Dank u wel!«, sagte ich, was so ziemlich mein einziger holländischer Satz ist.
    Er grinste. Seine dünnen Lippen verbreiterten sich dabei zu einem bananenförmigen, aber scharfkantigen Schlitz und entblößten seine Zähne, die jetzt einen merkwürdigen Geruch zu verströmen schienen. Die knochigen Wangen hoben sich und traten wie bei den Kasperlefiguren meiner Kindheit auf groteske Weise hervor. Schmale Augen funkelten vor Schadenfreude und Gehässigkeit. Es war das unheimlichste Grinsen, das ich

Weitere Kostenlose Bücher