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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Nachmittag in Antwerpen, etwa gegen 15 Uhr. Von dort fahren Sie nach Mechelen. Mitten in der Stadt, am Grote Markt, finden Sie das Stadhuis, Sie würden wohl Rathaus sagen. Schräg gegenüber vom Stadhuis gibt es ein Antiquariatsgeschäft für alte Bilder und Bücher. Fragen Sie nach Monsieur Etienne, er wird Ihnen sagen, wie Sie zum Treffpunkt kommen. Ich gehe davon aus, dass Sie das Material dabeihaben.«
    »Wird Anna Jonas dort sein? Kann ich sie mitnehmen?«
    »Nein. Wir schicken Ihnen einen Boten, der Ihnen die Details mitteilt. Er wird sich als Maître Villani vorstellen. Das Geld bekommen Sie gleich, das Mädchen, wenn wir das Material gesichtet haben. Seien Sie unbesorgt, es handelt sich um ein ganz normales Geschäft. Falls Sie allerdings die Polizei einschalten oder auf andere dumme Ideen kommen, werden wir mit der Kleinen einen Film drehen. Und zwar ein Snuff Video, das Sie sich im Internet anschauen können.«
    Dann war die Verbindung unterbrochen.
    Ich saß auf der Bank und konnte mich nicht rühren. Die Hektik und motorische Unruhe der letzten Minuten waren einer Art ganzkörperlicher Paralyse gewichen. Meine Gedanken rasten, und gleichzeitig hatte ich das Gefühl eines totalen geistigen Blackouts. Wut und Angst verwandelten meinen Magen in einen hart pulsierenden Klumpen, und ich war sicher, nicht einmal meine Hand bewegen zu können.
    »Es waren einmal zwei Schwestern, ich weiß es noch wie gestern, die eine …«
    Die eine hatte mir nicht vertraut und war jetzt tot, die andere hatte mir durchaus vertraut und war jetzt auf dem besten Weg, ihrer Schwester Gesellschaft zu leisten.
    Jetzt fang nicht wieder damit an, sagte Helen. Sie klang müde und traurig. Ich habe es dir erklärt, warum ich nichts gesagt habe. Es hat mit Liebe zu tun, nicht mit Misstrauen. Und an Annas Alleingang trifft dich überhaupt keine Schuld. Sie hat immer gemacht, was ihr gerade in den Kopf kam.
    »Passen Sie ein bisschen auf sie auf«, hatte Geldorf gesagt, als Anna stinkwütend aus seinem Büro gerauscht war.
    »Ich hätte auf Helen aufpassen sollen.«
    Gute Antwort!
    Und was hatte ich getan?
    Es waren einmal zwei Schwestern, ich weiß es noch wie gestern, die eine starb im Dampf allein, die andre wird ein Filmstar sein.
    Ich glaube, es war Helen, die mich davor bewahrte, auf dieser Parkbank im Frühling den Verstand zu verlieren. Mit der einzigen Drohung, die zu mir durchdrang, und einer Eiseskälte in der Stimme, die ich niemals zuvor bei ihr gehört hatte.
    Du nimmst dich jetzt zusammen, oder ich werde nicht mehr wiederkommen. Es geht hier ausnahmsweise mal nicht um dich. Tu etwas, oder sieh zu, wie du allein klarkommst.
    Ich hob den Kopf und lauschte dem Nachklang ihrer Stimme. Es war, als ob ein Tontechniker etwas Hall hineingemischt hätte. Stimmen zu hören gilt üblicherweise nicht als Ausweis geistiger Gesundheit, aber ich schwöre, dass an diesem Tag Helens Stimme und die Angst, sie zu verlieren, meinen Verstand wieder auf Kurs brachten.
    Das und der Anblick des Polizeiautos, das auf der Straße vor mir von links heranglitt. Es war ein ganz gewöhnlicher Streifenwagen mit Hamburger Kennzeichen, aber als er ungefähr auf meiner Höhe war, senkte sich das Seitenfenster auf der Beifahrerseite und Kommissar Born grüßte lässig zu mir herüber. Sekunden später war der Wagen verschwunden.
    Wie hatte Geldorf so schön gesagt: Wir schauen ein bisschen nach Ihnen, nur für den Fall, dass Sie wieder Halbstarken begegnen. Wenn ich Anna helfen wollte, musste ich ihn loswerden.
    Dazu brauchte ich ein anderes Auto. Ich stutzte einen Augenblick, weil mir auffiel, dass ich keine Sekunde daran gedacht hatte, nach Antwerpen zu fliegen, bis mir klar wurde, dass der Grund Gunnars Schrotflinte war. Ich wollte sie mitnehmen, und es war unmöglich, sie an Bord eines Flugzeugs zu bringen. Und was wollte ich damit? Darauf hatte ich keine Antwort. Oder vielleicht doch.
    Die CD war an einem sicheren Ort. Was würde passieren, wenn ich sie holte und ihnen übergab? Würden sie sie erst einmal mitnehmen oder gleich an Ort und Stelle in ein Notebook schieben und überprüfen? Und warum sollten sie Anna freilassen, wenn sie das Material hatten? Ich an ihrer Stelle hätte es nicht getan. Es würde keinen Austausch geben, weil es eine Falle war. Ein perfekter Versuch, mich zu zwingen, einen Ort aufzusuchen, an dem die Karten so verteilt waren, dass ich keine Chance hatte. Gunnars Gewehr war der einzige Trumpf, den ich hatte und von dem sie

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