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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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nichts wussten. Erstaunt wurde mir bewusst, dass mir das alles bereits klar gewesen war, als ich mich für das Auto entschied. Sie wollten mich und Helens Material. Der Geldkoffer inszenierte die Illusion eines Tauschgeschäfts. Wenn sie nach Erhalt der CD Anna und mich einfach umbrachten, spielte er keine Rolle mehr.
    Ich hatte keine Wahl. Nicht nach Belgien zu fahren bedeutete mit großer Wahrscheinlichkeit Annas Tod. Ihnen die CD und mich auszuliefern verbesserte unsere Chancen kein bisschen. Ich musste etwas tun, womit sie keinesfalls rechnen konnten.
    Ja, sagte Helen, aber eins nach dem anderen. Erst musst du unauffällig aus Hamburg raus! Die Kälte war aus ihrer Stimme verschwunden, aber ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie immer noch wütend war. Aus dem Café schräg gegenüber kam die Rentnercrew, die mich vor einer halben Stunde so unhanseatisch durchgemustert hatte, und ging Arm in Arm die Straße hinunter. In meinem Kopf tauchte ein Bild vom Inneren des Cafés auf, verschwamm wieder und stabilisierte sich dann. Ich sah die Theke mit den Tortenvitrinen und die hübsche Kellnerin dahinter, links von ihr war eine Durchreiche zu einem dahinterliegenden Küchenraum. Und daneben gab es eine Tür, eine schwere, offenbar schallisolierte Tür. Die Kellnerin hatte diese Tür geöffnet und in den Küchenraum hineingerufen, weil es irgendeinen Streit wegen einer Bestellung gegeben hatte. Und dabei hatte ich die Gerausche gehört. Ein paar lachende Frauenstimmen, das Klappern von Tellern und Besteck, das laute Zischen und Ächzen großer Espressomaschinen – und im Hintergrund den Straßenlärm. Vorbeifahrende Autos, Hupen und das Dröhnen eines Presslufthammers.
    Ich zwang mich aufzustehen und spürte, wie mein Blut verstärkt zu zirkulieren begann. Auch mein Gehirn bekam seinen Teil davon ab. Ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und stellte fest, dass ich normal gehen konnte. Also ging ich über die Straße in das Café zurück und sprach mit der Kellnerin. Ihre schönen blauen Augen wurden groß, als sie hörte, was ich von ihr wollte, und bekamen einen gierigen Glanz, als ich ihr 150 Euro anbot. Sie wollte zweihundert, und ich gab sie ihr.
    »Wir öffnen um halb neun Uhr«, sagte sie und strich die Scheine glatt, »seien Sie pünktlich, sonst geht es nicht.«

Neunundzwanzig
    A
    ls ich das Café verließ, manövrierte auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Streifenwagen aus einer Parklücke und fuhr davon. Diesmal blieben die Seitenfenster oben, und ich konnte noch nicht einmal erkennen, wie viele Personen im Wagen saßen.
    Ich ging zu Fuß in die Innenstadt, widerstand dem Drang, mich dauernd nach Geldorfs Leuten umzusehen, und suchte mir das größte Kaufhaus aus, das ich finden konnte. Dort fuhr ich ein Weilchen die Rolltreppen rauf und runter, streifte ziellos herum, und als ich mich einigermaßen sicher fühlte, betrat ich die Abteilung für Hi-Fi/Foto und Computerbedarf. Ich kaufte ein Paket mit CD-Rohlingen und einen länglichen Aluminiumkoffer mit einem auffallend leuchtenden Schriftzug von Panasonic. Ein Stockwerk tiefer besorgte ich mir eine große Sonnenbrille, eine Rolle Klebeband, eine hässliche Baseballkappe und eine Haarschneidemaschine. An der Kasse ließ ich mir die größte Plastiktragetasche geben, die sie hatten. Dann fuhr ich mit dem Taxi zu Helens Wohnung.
    Im Hausflur öffnete ich Helens Briefkasten und entnahm ihm ein flaches Päckchen. Es stand kein Absender darauf, aber ich erkannte die Handschrift. Es war von Max Althaus aus München. In der Wohnung riss ich es auf und überzeugte mich, dass alles vorhanden war.
    Danach beschäftigte ich mich mit Gunnars Gewehr. Die Aufschrift auf dem geschmackvoll gearbeiteten Lederkoffer teilte mir mit, dass sie von einem Büchsenmachermeister im österreichischen Mistelbach hergestellt worden war. Vielleicht hatte er Lust, mir eine kleine Einführung zu geben. Ich schaltete Helens PC an, gab Namen und Anschrift des Büchsenmachers in die Suchmaschine ein und war drei Mausklicks später auf seiner Website. Gunnars Gewehr war tatsächlich noch in seinem Katalog, und zwar mit einer präzisen Produktbeschreibung und Anleitung zum Zerlegen und Reinigen der Waffe. Danke nach Österreich. Die Flinte hatte zwei nebeneinanderliegende Läufe, die man abkippen konnte, und war ohne Werkzeug bequem in drei Teile zerlegbar. Ich erfuhr, dass sie einen Greener-Verschluss hatte, der beide Laufhaken verriegelte, und einen geteilten

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