Oelspur
hat, und einen kurzen schrecklichen Moment lang hatte ich Angst, ihn getötet zu haben. Aber er rappelte sich wieder hoch, stützte sich mit den Händen auf und schaute mich aus glasigen Augen ungläubig an. Seine Lippen formten etwas, das wie »pourquoi« aussah, aber nicht zu verstehen war.
»Lassen Sie uns ein bisschen Deutsch reden«, sagte ich. »Das können Sie doch, Monsieur Villani!«
Ich zerrte ihn hoch, setzte ihn auf einen Stuhl und band ihm mit Klebeband die Hände auf dem Rücken zusammen. Er war immer noch benommen, sein Kopf hing auf die Brust herab, und aus seinem linken Ohr sickerte ein dünnes Rinnsal Blut in seinen Hemdkragen. Ich hockte mich ihm gegenüber auf die Tischkante und wartete, bis seine Arroganz wieder die Oberhand gewann. Er brauchte nicht länger als fünf Minuten, dann hob er den Kopf und starrte mich verächtlich an.
»Großer Gott, sind Sie dumm!«, sagte er in einwandfreiem Deutsch. »Was wollen Sie jetzt tun? Mich töten?«
Doch plötzlich schien ihm klar zu werden, dass er den Schlag auf seinen Advokatenkopf schließlich auch nicht für möglich gehalten hatte und dass man die Dinge nicht herbeireden soll.
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte er. »Wir haben Anna Jonas. Die wollen Sie doch wiederhaben. Und ich habe Geld mitgebracht. Viel Geld!«
Mein Blick fiel auf den Aktenkoffer.
»Machen Sie ihn auf. Es sind 2,2 Millionen Euro. Gebrauchte Scheine. Nicht zurückzuverfolgen. Geben Sie mir das Material, und nehmen Sie die Kleine und das Geld, und verschwinden Sie. Nach Südafrika oder Bolivien oder sonst wohin, solange Sie noch können. Bloß raus aus Europa.«
Ich sagte nichts. Stattdessen langte ich nach der Schrotflinte, klappte sie über den Knien auf und schob zwei von den Monsterpatronen in den Doppellauf. Villani hatte angefangen stark zu schwitzen, und ich konnte mit ansehen, wie sich jahrzehntelang trainierte Überheblichkeit in pure Panik verwandelte. Seine kühle, kultivierte Stimme war jetzt mit einem feinen Zittern unterlegt, das mir sehr gut gefiel.
»Sie haben nicht die geringste Ahnung, mit wem Sie sich da angelegt haben. Und wenn Sie mich töten, ändert das gar nichts. Verstehen Sie, ich bin nur eine Art Geldbote mit einem letzten Angebot. Das Mädchen und den Koffer gegen das Material.«
»Sie wären nicht der erste Geldbote, der erschossen wird.«
»Warum wollen Sie mich nicht wenigstens anhören?«
»Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich Geld will? Oder ein paar Ratschläge brauche, wie ich mein Leben verlängern kann.«
Villani schwieg. Offenbar versuchte er, sich darüber klar zu werden, wie weit ich gehen würde.
»Eh bien«, sagte er schließlich, »Geld wollen Sie nicht, und am Leben bleiben wollen Sie auch nicht. Was dann? Was ist mit dem Mädchen?«
»Ja«, sagte ich, »was ist eigentlich mit dem Mädchen? Fangen wir doch mit ihr an. Wo ist sie?«
Villani schnaubte und starrte auf den Boden.
»Wenn Sie hier in einem Stück wieder rauswollen, werden Sie mir wohl ein paar Sachen erzählen müssen, die ich noch nicht weiß!«
»Ah merde, c’est ridicule!« Sein Gesicht hatte jetzt einen störrischen und verächtlichen Ausdruck angenommen. »Hören Sie auf mit der Gangsternummer. Sie sind kein Killer, und ich bin es auch nicht. Machen Sie mich los, und wir reden vernünftig.«
Statt einer Antwort drehte ich das Gewehr mit dem Kolben in Richtung seines Gesichts, schob es wie einen Billardstock kräftig vor und brach ihm die Nase. Er stieß einen erstickten Schrei aus, und ich wandte mich zur Seite, um meine aufwallende Übelkeit zu überspielen. In meinem Mund war ein bitterer, metallischer Geschmack. Dann zwang ich mich, ihn anzusehen. Aus seinen aufgerissenen Augen liefen Tränen, die sich mit dem Blut aus seiner Nase vermischten. Der Mund stand offen, die Oberlippe war aufgeplatzt.
»Sie Schwein!«, sagte er undeutlich.
Er war keineswegs am Ende, aber ich war es. Die kalte Wut, die meinen Adrenalinspiegel die letzten fünf Tage auf konstantem Niveau gehalten hatte, war verpufft. Hatte sich mit dem Anblick von Villanis zerschlagenem Gesicht einfach davongemacht und eine dumpfe Leere hinterlassen. Ich hing mir selbst zum Hals raus. Helen hätte nicht gefallen, was ich hier tat. Oh doch, Schatz, aber nur, wenn du es zu Ende bringst.
Aber ich konnte so nicht weitermachen. Es war so, wie ich befürchtet hatte, als ich Max Althaus aus Schweden anrief. Ich konnte es nicht aus ihm herausprügeln, und irgendwie ahnte ich, dass er das wusste.
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