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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Bad oder eine Toilette konnte ich nirgends entdecken. Bis auf einen Tisch, drei Stühle und ein uraltes Sofa im Wohnzimmer waren alle Einrichtungsgegenstände verschwunden. Die Wände waren weiß gekalkt. Das Haus war offenbar schon vor Jahren verlassen worden, aber eigentlich noch in erstaunlich gutem Zustand. Das Dach war noch dicht, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Fenster einzuwerfen.
    Ich ging zurück zum Auto, setzte den Opel mit dem Heck so weit wie möglich zurück in das Pappelwäldchen. Anschließend bedeckte ich ihn notdürftig mit Zweigen und Riedgras. Die Tarnung war nicht gerade umwerfend, aber mit dem hellen Grün auf dem hässlichen braunen Lack verschmolz der Wagen doch ganz annehmbar mit der Umgebung. Das langsam nachlassende Tageslicht würde mir helfen.
    Ich holte den Gewehrkoffer und das Mineralwasser aus dem Auto, ging noch einmal zum Schuppen und suchte mir zwei Petroleumlampen heraus, die noch halbwegs brauchbar aussahen. Beide hatten noch einen Restvorrat an Brennstoff. Zurück im Haus stellte ich alles auf den Tisch, und daraufhin packte ich die Flinte aus. Ich setzte sie zusammen und stellte überrascht fest, dass mir der Bewegungsablauf nicht nur flüssig von der Hand ging, sondern der Umgang mit der solide präzisen Mechanik irgendwie Spaß machte. Unwillkürlich musste ich an eine Szene aus dem Film Forrest Gump denken. Tom Hanks zerlegt freudig immer wieder aufs Neue in stumpfsinniger Routine das M16 und baut es in unglaublicher Geschwindigkeit wieder zusammen, während seine Stimme aus dem Off darüber räsoniert, wie gut er und die Armee zusammenpassen. Ich mochte den Film.
    Mein Plan, wenn man es denn so nennen wollte, war vage. Nachdem mir klar geworden war, dass sie Anna und mich nicht einfach gehen lassen würden, wenn ich die CD herausgab, mir aber andererseits gar nichts anders übrig blieb, als zu diesem Treffpunkt zu fahren, hatte mich das Dilemma an den Rand der Verzweiflung gebracht. Und dann hatte ich an den Albaner auf dem Bahnhofsklo gedacht. An seinen ungläubig fassungslosen Gesichtsausdruck, als ihm bewusst wurde, dass er sterben würde. Ganz offensichtlich hatte er das nicht für eine realistische Option gehalten, und das war meine vielleicht einzige Chance. Sie waren so sehr daran gewöhnt, dass Einschüchterung, Demütigung und Erpressung funktionierten, dass sie gewalttätigen Widerstand von Seiten eines Opfers nicht ernsthaft in Erwägung zogen. Zumal sie nicht wissen konnten, dass dieses Opfer zwischenzeitlich an eine großkalibrige Waffe gekommen war. Sie hatten gedroht, Anna zu töten, wenn sie die CD nicht bekamen, was andererseits auch hieß, dass sie sie nicht töteten, solange sie die CD nicht hatten. Ich wollte Anna nicht austauschen, sondern befreien, und ihren Aufenthaltsort würde mir jemand verraten. Zumindest in diesem Punkt war ich zuversichtlich.
    Einen Augenblick überlegte ich, ob ich die Flinte durchladen sollte, aber ich entschied mich dagegen. Zunächst einmal würde ein Bote kommen – und ich hatte nicht vor, jemanden aus Versehen zu erschießen.
    Wenn schon, sollte es Absicht sein.
     

Einunddreißig
    I
    ch hörte den Wagen, lange bevor er auf den Hof einbog.
    Vorsichtig schaute ich durch einen Spalt der Haustür. Der Fahrer wendete und parkte den Lexus mit der Nase in Fahrtrichtung auf dem kleinen Feldweg, den er gekommen war. Er stieg aus, schaute sich wachsam um und kam danach, ohne den Wagen abzuschließen, zügig auf das Haus zu. Ich stieß die Haustür ganz auf und trat ein paar Schritte zurück.
    Er war ein kleiner, stämmiger Mann in den Vierzigern mit grau-schwarz meliertem Dreitagebart und einem erstklassig geschnittenen dunkelblauen Anzug. Hellblaues Hemd, Armani-Brille, Aktenkoffer –, eine Zierde der belgischen Anwaltskammer.
    Stirnrunzelnd und deutlich angewidert wanderte sein Blick durch die Bauernstube, dann schloss er die Tür hinter sich und kam zwei Schritte auf mich zu.
    »Monsieur Nyström? Haben Sie das Material dabei?«
    »Oui«, sagte ich, und dann sah er das Gewehr.
    Ich hatte es, am Schaft umfasst, hinter meinem rechten Bein verborgen gehalten, holte es jetzt hervor, schwang es beidhändig mit dem Kolben nach vorn in einem Halbkreis auf ihn zu und traf ihn mit einem schönen, wuchtigen Schlag an der linken Schläfe.
    Es war das Hinterhältigste, was ich je gemacht habe, und ich genoss es bis in die Fingerspitzen. Er klappte zusammen wie eine Marionette, der man alle Fäden auf einmal durchgeschnitten

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