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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Clavain war ein alter Mann mit
nachlassendem Gehör. Scorpio war ein Hyperschwein, und sein
Gehör war immer schon schlecht gewesen.
    »Wenn Sie wollen, gehe ich jetzt hinein, Sir.«
    Die Öffnung, die Vasko gefunden hatte, war lediglich eine
etwas größere Nische im Gewirr der Eisäste mit ihren
nadelfeinen Spitzen. Ein brusthoher Eiswall versperrte die ovale
Erweiterung. Dahinter war eine größere Höhle zu
erahnen, ohne dass man hätte erkennen können, wie weit sie
nach innen reichte.
    »Darf ich mal sehen?«, fragte Khouri. Sie hatte sich den
schweren Boser an einem Schulterriemen über den Rücken
gehängt und stützte den Kolben mit einer Hüfte ab.
    »Es gibt noch weitere Eingänge«, sagte Vasko,
»aber hier scheint es mir am leichtesten zu gehen.«
    »Wir nehmen ihn«, sagte Khouri. »Beiseite treten.
Ich gehe voraus.«
    »Warten Sie«, sagte Clavain.
    Sie verzog den Mund. »Da drin ist meine Tochter. Kann jemand
den Inkubator holen?«
    »Ich weiß, wie Ihnen zumute ist«, sagte
Clavain.
    »Wirklich?«
    Seine Stimme klang erstaunlich ruhig. »O ja. Skade hat einmal
Felka entführt. Ich folgte ihr, genau wie Sie es jetzt vorhaben.
Ich hielt das für richtig. Heute weiß ich, dass es
töricht war. Ich war nahe daran, sie zu verlieren. Deshalb
sollten Sie nicht als Erste gehen. Nicht, wenn Sie Aura wiedersehen
wollen.«
    »Er hat Recht«, sagte Scorpio. »Wir wissen nicht,
was wir da drin finden oder wie Skade reagiert, wenn sie uns bemerkt.
Nicht auszuschließen, dass wir jemanden verlieren. Und Sie sind
die Person, die wir nicht entbehren können.«
    »Den Inkubator können Sie trotzdem holen.«
    »Nein«, sagte Scorpio. »Er bleibt im Boot, da ist
er in Sicherheit. Ich möchte nicht, dass er bei einer
Schießerei zu Bruch geht. Und falls sich herausstellt, dass wir
die Sache auf dem Verhandlungsweg lösen können, bleibt
immer noch genug Zeit, ihn zu holen.«
    Khouri war darüber nicht sehr glücklich, aber sie sah
den Sinn der Entscheidung offenbar ein und trat zurück.
»Dann gehe ich als Zweite«, sagte sie.
    »Ich übernehme die Führung«, erklärte
Scorpio und wandte sich an die beiden Angehörigen des
Sicherheitsdienstes. »Jaccottet, Sie folgen Khouri. Urton, Sie
bleiben mit Vasko hier. Behalten Sie die Boote im Auge und achten Sie
darauf, ob an einer anderen Stelle etwas aus dem Eis kommt. Sobald
Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt…« Er bemerkte
den Blick der beiden und hielt inne. »Sobald Ihnen etwas wirklich Ungewöhnliches auffällt… geben Sie uns
Bescheid.«
    Clavain sollte selbst bestimmen, ob er mitkommen wollte.
    Scorpio suchte sich einen Weg durch die spitzen Eiszapfen. Bei
jeder Bewegung, jedem Atemzug brachen Dolche und Farnwedel ab. Ein
Nebel aus schillernden Kristallen erfüllte die Luft. Mit seinem
gedrungenen Körper und den kurzen Gliedmaßen fiel es ihm
schwerer als den anderen, sich durch die Öffnung zu
zwängen. Eine Eisklinge berührte seine Haut und scharrte
daran entlang, ohne sie zu verletzen. Eine Spitze stach ihn in den
Schenkel.
    Dann hatte er die Barriere überwunden und landete auf der
anderen Seite auf den Füßen. Er klopfte sich ab und sah
sich um. Das Eis erstrahlte in leuchtend blauem Licht. Es gab so gut
wie keine Schatten, nur der Lichtschein war unterschiedlich stark. Es
wimmelte von Eisspießen, und die Wurzelstränge, aus denen
der Saum bestand, schoben sich so dick wie Lüftungsrohre aus dem
Boden. Er hielt sich vor Augen, dass hier nichts statisch war: Der
Eisberg wuchs immer noch weiter, und dieser Einschluss existierte
vielleicht erst seit einigen Stunden.
    Die Luft war kalt und hart wie Stahl.
    Hinter sich hörte er Khouri auf dem Boden aufkommen. Als sie
sich umdrehte, zerfiel unter dem Lauf des Breitenbach-Bosers ein
ganzer Fächer von Miniaturstalaktiten zu Eisstaub. Sie hatte
sich ein imposantes Arsenal von weiteren Waffen wie
Schrumpfköpfe an den Gürtel gehängt.
    »Vasko sprach von einem leisen Geräusch…«,
begann sie. »Ich höre es auch. Es ist wie ein
Pochen.«
    »Ich höre es nicht«, gestand Scorpio. »Aber
das heißt nicht, dass es nicht da wäre.«
    »Skade ist hier«, sagte sie. »Ich weiß, was
Sie denken: Sie könnte auch tot sein. Aber sie lebt. Sie lebt,
und sie weiß, dass wir gelandet sind.«
    »Und Aura?«
    »Sie spüre ich nicht.«
    Clavain erschien in der Öffnung und stieg langsam und
vorsichtig wie eine Tarantel über die Barriere. Seine
dünnen, schwarz verhüllten Arme und Beine schienen für
diesen Zweck wie

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