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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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sie.
    Doch dann erschien vor ihr ein heller Strich. Sie hörte
Metall quietschen, ein Stück Wand schwang beiseite. Wieder blies
ihr ein Wind ins Gesicht, eine neue Mischung von biomechanischen
Gerüchen.
    Hinter der Öffnung lag ein Korridor, der in einem scharfen
Knick nach unten führte. Aus den Tiefen sickerte
glühwürmchenfahles grüngoldenes Licht empor.
    »Es war also wohl doch eine Visitenkarte«, sagte
sie.

 
Neunzehn
Ararat

2675
     
     
    Das Wasser wurde immer dickflüssiger. Die Boote schoben sich
mühsam vorwärts und drangen schließlich in den
Eissaum ein. Zu beiden Seiten der Rümpfe stoben Wolken von
Eissplittern davon. Die Boote kämpften sich noch zehn oder
zwölf Meter weiter, dann kamen sie mit jaulenden Elektromotoren
knirschend zum Stehen.
    Die rechteckigen Rümpfe hatten saubere Fahrrinnen in den Saum
gefräst, aber das ölige Wasser hatte kaum zu schwappen
aufgehört, als es auch schon verdächtig starr wurde und
sich so weiß färbte wie Perlmutt. Die zähe, klebrige
Masse erinnerte Scorpio an gerinnendes Blut. In wenigen Minuten
würden die Rinnen vermutlich wieder fest zugefroren sein.
    Die beiden Sicherheitsleute sprangen als Erste aus dem Boot und
vergewisserten sich, dass das Eis für die ganze Gruppe fest
genug war. Die anderen folgten wenig später mit so vielen Waffen
und Geräten, wie sie tragen konnten. Vieles andere – auch
den Inkubator – ließen sie in den Booten zurück. Das
tragfähige Eis bildete einen festen, an den meisten Stellen
fünf bis sechs Meter breiten Gürtel um die Spitze des
Eisbergs. Das riesige Kristallgebilde ragte steil vor ihnen auf.
Scorpio fiel es schwer, nach oben zu schauen. Schon nach wenigen
Sekunden wurde ihm der Nacken steif.
    Er wartete, bis Clavain ausgestiegen war, und trat zu ihm. Sie
froren beide und stampften mit den Füßen. Das Eis sah aus,
als hätte man dicke knotige Wurzelstränge zu einem Teppich
verflochten. Es war glitschig und voller Unebenheiten. Jeder Schritt
erforderte größte Vorsicht.
    »Ich hätte nun doch ein Empfangskomitee erwartet«,
sagte Scorpio. »Dass man so gar keine Notiz von uns nimmt, kommt
mir verdächtig vor.«
    »Mir auch.« Clavain sprach sehr leise. »Wir haben
noch nicht darüber gesprochen, aber vielleicht ist Skade ja auch
tot. Ich fürchte nur…« Er brach ab und warf einen
Blick auf Khouri, die sich auf die Fersen gehockt hatte und die
letzten Teile des Breitenbach-Bosers zusammensetzte. »Ich
fürchte nur, sie ist noch nicht bereit, sich mit dieser
Möglichkeit auseinander zu setzen.«
    »Du glaubst alles, was sie sagte, nicht wahr?«
    »Ich bin sicher, dass wir unter dem Eis ein Schiff finden
werden. Aber sie konnte nicht davon ausgehen, dass Skade den Absturz
überlebt hat.«
    »Skade ist nicht umzubringen«, sagte Scorpio.
    »Das ist richtig, und ich hätte nie gedacht, dass ich
dafür noch einmal dankbar sein würde.«
    »Sirs?«
    Sie drehten sich um. Vasko war ein Stück weiter gegangen und
wollte gerade hinter dem Eisberg verschwinden.
    »Sirs«, wiederholte er und sah Scorpio und Clavain
abwechselnd an. »Hier ist eine Öffnung. Ich habe sie schon
vom Meer aus gesehen. Ich denke, eine größere werden wir
nicht finden.«
    »Wie weit reicht sie hinein?«, fragte Scorpio.
    »Weiß nicht. Auf jeden Fall mehr als nur ein paar
Meter. Ich denke, ich könnte mich leicht
hindurchzwängen.«
    »Warten Sie«, sagte Scorpio. »Immer schön eins
nach dem anderen.«
    Sie folgten Vasko zu der Lücke im Eis. Je näher sie der
Wand kamen, desto öfter mussten sie sich unter scharfen
waagrechten Eiszapfen hindurchducken. Augen und Gesichter
schützten sie mit den Armen. Irgendetwas warnte Scorpio davor,
die Gebilde zu beschädigen, obwohl das kaum zu vermeiden war.
Selbst wenn er sich vorsichtig an einem Zapfen vorbeidrückte und
sich vor der rapierscharfen Spitze des nächsten schützte,
zerbrach er ein Dutzend kleinerer Eisformationen. Die Scherben fielen
klirrend zu Boden, und noch in etlichen Metern Entfernung entstand
eine ganze Kaskade von Sprüngen.
    »Hören Sie das Singen immer noch?«, fragte er
Vasko.
    »Nein, Sir«, antwortete der junge Mann. »Nicht mehr
so wie vorhin. Ich glaube, das war tatsächlich nur, als die
Sonne aufging.«
    »Aber es hat nicht ganz aufgehört?«
    »Ich weiß nicht, Sir. Jetzt ist das Geräusch
leiser, sehr viel leiser. Es kommt in Wellen. Vielleicht bilde ich es
mir nur ein.«
    Scorpio hörte gar nichts. Auch das Singen hatte er nicht
gehört, ebenso wenig wie Clavain.

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