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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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geschaffen zu sein. Scorpio stellte fest, dass er
keine einzige Verzierung abbrach. Außerdem fiel ihm auf, dass
Clavain offenbar nur eine einzige Waffe hatte: das Messer mit der
kurzen Klinge, das er aus seinem Zelt mitgenommen hatte. Er hielt es
in einer Hand, und wenn er es drehte, war die Klinge nicht mehr zu
sehen.
    Jaccottet folgte Clavain mit wesentlich mehr Getöse. Drinnen
angekommen, blieb er stehen und klopfte sich die Eissplitter von der
Uniform.
    Scorpio zog seinen Ärmel zurück und sprach in den
Kommunikator. »Blood, wir haben einen Weg in den Eisberg
gefunden. Wir dringen weiter vor. Ich weiß nicht, wie es mit
der Verbindung sein wird, aber bleib in Bereitschaft. Malinin und
Urton warten draußen. Notfalls kann die Verständigung
über sie laufen. Wir bleiben schätzungsweise zwei Stunden
hier drin, vielleicht auch länger.«
    »Sei vorsichtig«, sagte Blood.
    Was war das?, dachte Scorpio. Wenn Blood schon den
Fürsorglichen spielte, dann mussten die Dinge wohl noch
schlimmer stehen, als er befürchtet hatte. »Wird
gemacht«, sagte er laut. »Gibt es sonst noch etwas, das ich
wissen sollte?«
    »Nichts, was unmittelbar mit eurer Mission zu tun hätte.
Berichte über erhöhte Schieberaktivität von vielen
Überwachungsstationen, aber das könnte auch Zufall
sein.«
    »Ich habe inzwischen Zweifel, ob es so etwas wie Zufälle
überhaupt gibt.«
    »Ach ja – nur zur Aufmunterung –, es gibt auch
Meldungen über Lichter am Himmel. Allerdings ohne
Bestätigung.«
    »Lichter am Himmel? Das wird ja immer besser.«
    »Hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Ich würde mich
an deiner Stelle gar nicht darum kümmern. Konzentriere dich
lieber auf das, was vor euch liegt.«
    »Danke. Darauf wäre ich selber nie gekommen. Mach’s
gut, Kumpel, bis später.«
    Clavain hatte das Gespräch mitgehört. »Lichter am
Himmel, wie? Vielleicht bist du beim nächsten Mal nicht mehr so
skeptisch, wenn dir ein alter Mann etwas sagt.«
    »Ich habe dir jedes Wort geglaubt.« Scorpio griff an
seinen Gürtel und zog eine Pistole heraus. »Hier, nimm! Ich
kann nicht mit ansehen, wie du mit diesem albernen Messerchen durch
die Gegend läufst.«
    »Das ist ein sehr gutes Messer. Habe ich dir schon
erzählt, dass es mir einmal das Leben gerettet hat?«
    »Ja.«
    »Ein Wunder, dass ich es immer noch habe. Findest du nicht
auch, dass ein Messer eine sehr ritterliche Waffe
ist?«
    »Wenn du es genau wissen willst«, sagte Scorpio,
»ich finde, wir sollten uns im Moment weniger um Ritterlichkeit
als um Selbstverteidigung kümmern.«
    Clavain nahm die Pistole höflich aber ohne Begeisterung
entgegen wie ein unerwünschtes Geschenk.
    Dem Weg des geringsten Widerstandes folgend, stießen sie
tiefer in den Eisberg vor. Das Eis war so schwer zu durchdringen wie
ein dichter Urwald. Scorpio fühlte sich an bestimmte
Gebäude in den Mulch -Schichten von Chasm City erinnert.
Als die Seuche zuschlug, hatten die Reparatur- und
Umgestaltungssysteme ähnlich üppige, fast organische
Gebilde hervorgebracht. Hier dagegen wurde das Wachstum des Eises
offenbar ausschließlich von lokalen Temperaturschwankungen und
Luftströmungen bestimmt. Die Verhältnisse änderten
sich unentwegt. War die Luft eben noch so eisig gewesen, dass sie in
den Lungen brannte, so war sie beim nächsten Schritt nur noch
winterlich kalt. Jeder Versuch, sich an den Strömungen zu
orientieren, war zum Scheitern verurteilt. Scorpio hatte mehr als
einmal das Gefühl, sich in einer riesigen, atmenden Lunge zu
befinden.
    Doch über die Richtung, die sie einzuschlagen hatten, bestand
nie ein Zweifel: weg vom Tageslicht, hinein in den pastellblauen
Kern.
    »Es ist Musik«, sagte Jaccottet plötzlich.
    »Was?«, fragte Scorpio.
    »Musik, Sir. Diese leisen Töne. Vorher gab es zu viele
Echos. Ich konnte nichts damit anfangen. Aber jetzt bin ich sicher,
dass es Musik ist.«
    »Musik? Verdammt, was hat Musik hier verloren?«
    »Ich weiß es nicht, Sir. Sie ist nur ganz schwach, aber
sie ist eindeutig da. Ich rate zur Vorsicht.«
    »Ich höre sie auch«, sagte Khouri. »Und ich
rate, sich verdammt noch mal, zu beeilen.«
    Sie zog eine der Waffen aus ihrem Gürtel und schoss auf den
dicksten Zapfen. Er zersprang zu marmorweißem Staub. Dann stieg
sie über die Trümmer hinweg und richtete die Waffe auf das
nächste Hindernis.
    Clavain veränderte etwas an seinem Messer. Es begann auf
einer Frequenz an der Grenze von Scorpios Hörvermögen zu
surren. Die Klinge flimmerte. Clavain zog sie

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