Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
lösten sich nicht,
sondern flossen zu einer einzigen Schicht zusammen und überzogen
die Finger bis zu den Knöcheln. Die Schicht bestand aus
hunderten von Würfeln ähnlich denen, die sie zuvor gesehen
hatten, nur kleiner. Nun schwollen sie an, wurden größer
und umschlossen seine Hand fester. Dann schoben sie sich
übereinander, und der schwarze Schleim strebte in
wellenförmigen Zuckungen auf sein Handgelenk zu.
    Hinter ihm leuchtete etwas auf und erhellte die Höhle, in der
das Wrack stand. Scorpio warf einen kurzen Blick über die
Schulter. Der Lauf von Khouris Gewehr glühte kirschrot. Ein
Energiestrahl auf schwächster Stufe. Auch Jaccottet hatte seine
Waffe auf den Leichnam der Synthetikerin gerichtet, aber alle sahen,
dass vom Körper des Opfers nichts mehr übrig war. Die
Maschinen ließ der Angriff offenbar kalt: Der Schuss hatte
einige Würfel von der Hauptmasse getrennt, aber sonst wies
nichts darauf hin, dass ihnen die Energie geschadet hätte.
    Scorpio ließ sich nur eine Sekunde ablenken, doch als er
sich Clavain wieder zuwandte, war er entsetzt. Sein Freund lehnte mit
schmerzverzerrtem Gesicht an der Wand.
    »Sie haben mich erwischt, Scorp. Es tut weh.«
    Clavain schloss die Augen. Die schwarze Schicht hatte das
Handgelenk erreicht. Auf der Fingerseite hatte sich ein runder Stumpf
gebildet, der sich langsam zusammenzog, während die
Handgelenksseite weiter vorrückte.
    »Ich versuche, es wegzustemmen«, sagte Scorpio und
suchte in seinem Gürtel nach einem Werkzeug, das dünn und
stark genug wäre, aber nicht so scharf, dass er damit Clavains
Hand verletzte.
    Clavain schlug die Augen auf. »Das wird nicht
gehen.«
    Er tastete mit der heilen Hand nach dem Messer in seiner Tasche.
Eben war sein Gesicht noch grau und verkrampft gewesen, doch jetzt
entspannten sich die Züge, als hätten die Schmerzen
aufgehört.
    Doch Scorpio ließ sich nicht täuschen. Clavain hatte
lediglich den Teil seines Gehirns abgeschaltet, der den Schmerz
registrierte.
    Jetzt hatte er das Messer gefunden. Er fasste es am Griff und
bemühte sich, die Klinge zu aktivieren. Es klappte nicht.
Entweder konnte man den Schalter nicht mit einer Hand bedienen, oder
Clavains Finger waren zu starr vor Kälte. Nun fiel ihm das
Messer auch noch aus der Hand. Frustriert wollte er danach greifen,
doch dann ließ er es sein.
    »Scorp, heb du es auf.«
    Scorpio packte das Ding mit seinem Huf. Es fühlte sich
merkwürdig an, als hätte er ein kostbares Schmuckstück
gestohlen, das nicht für seine Hand bestimmt war. Er wollte es
Clavain zurückgeben.
    »Nein. Du musst es tun. Zum Einschalten drückst du auf
diesen Knopf. Sei vorsichtig: Es schlägt aus, wenn die
Piezoklinge ausfährt. Du darfst es nicht fallen lassen. Es
schneidet durch Hyperdiamant wie ein Laser durch Rauch.«
    »Ich kann das nicht, Nevil.«
    »Du musst. Das Zeug bringt mich sonst um.«
    Die schwarzen Unterdrückermaschinen fraßen sich immer
weiter in seine Hand hinein. In dem Stumpf war für Fingerspitzen
schon kein Platz mehr, dachte Scorpio. Sie waren verschlungen
worden.
    Er drückte auf den Einschaltknopf. Das Messer zuckte, als
wäre es lebendig. Er spürte das hochfrequente Surren durch
den Griff. Die Klinge flirrte silbrig wie die Flügel eines
Kolibris.
    »Trenn mir die Hand ab. Sofort. Schnell und sauber. Drei
Zentimeter über den Maschinen.«
    »Ich werde dich umbringen.«
    »Nein, ich schaffe es schon.« Clavain hielt inne.
»Ich habe das Schmerzzentrum ausgeschaltet. Um die Gerinnung
kümmern sich die Implantate im Blutstrom. Du hast nichts zu
befürchten. Aber tu es. Jetzt. Bevor ich es mir anders
überlege oder das Zeug über eine Abkürzung in meinen
Kopf findet.«
    Scorpio nickte. Der Auftrag erfüllte ihn mit Entsetzen, aber
er sah ein, dass es keine andere Wahl gab.
    Er fasste Clavain am Ellbogen, vermied aber jeden Kontakt mit den
Maschinen. Das Messer surrte und zappelte. Er hielt die flirrende
Klinge an den Ärmelstoff.
    Dann sah er Clavain noch einmal an. »Bist du ganz
sicher?«
    »Scorp. Mach voran! Du bist doch mein Freund. Tu
es!«
    Scorpio senkte das Messer. Es glitt durch Stoff, Fleisch und
Knochen, ohne dass er Widerstand spürte.
     
    Eine halbe Sekunde später war alles vorbei. Die Hand –
Scorpio hatte sie dicht über dem Handgelenk abgeschnitten –
fiel mit lautem Klatschen auf das Eis. Clavain sank wimmernd gegen
die Wand. Alle Kraft hatte ihn verlassen. Obwohl er Scorpio
versichert hatte, er hätte alle Schmerzreize blockiert, war

Weitere Kostenlose Bücher