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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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neu und nicht
sehr angenehm.
    Plötzlich geriet sie völlig außer sich. Sie kniete
sich auf die gepanzerte Falltür und hämmerte mit den
Fäusten dagegen. Der Observator sollte zurückkommen. Er
sollte ihr erklären, warum er den Kopf geschüttelt hatte.
Er sollte sich entschuldigen, weil er ihr das Gefühl gegeben
hatte, es sei unrecht gewesen, das Ritual zu beobachten. Er sollte
sie freisprechen und selbst die Schuld auf sich nehmen. Er sollte ihr
die Absolution erteilen.
    Wieder und wieder schlug sie gegen die Tür, aber nichts
geschah. Die Karawane ratterte weiter. Die Observatoren auf ihren
Plattformen beobachteten Haldora so unermüdlich wie eh und je.
Rachmika fühlte sich gedemütigt und kam sich noch
törichter vor als in dem Moment, als der Pilger sie gerettet
hatte. Sie stand auf und ging über die Dächer zu ihrem
Karawanenwagen zurück. Unter ihrem Helm weinte sie über
ihre eigene Schwäche. Wie hatte sie nur jemals glauben
können, sie hätte genügend Kraft und Mut, um ihre
Mission zu Ende zu führen?

 
Ararat

2675
     
     
    »Glauben Sie an Zufälle?«, fragte die
Schwimmerin.
    »Ich weiß nicht«, sagte Vasko. Er stand in der
Hohen Muschel an einem Fenster hundert Meter über dem Netz der
nächtlichen Straßen. Hoch aufgerichtet stand er da, die
Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Beine in den
Stiefeln leicht gespreizt. Er hatte gehört, dass hier ein
Treffen stattfinden sollte und dass man ihn nicht ausschließen
würde. Wieso das Treffen im Muschelgebäude und nicht in den
angeblich sichereren Räumen des Schiffes abgehalten wurde, hatte
ihm niemand erklärt.
    Er schaute hinaus zu dem Wasserband zwischen dem Festland und dem
schwarzen Meeresturm. Die Schieberaktivität war nicht geringer
geworden, doch seltsamerweise reichte ein Streifen aus ruhigem Wasser
wie eine Zunge in die Bucht hinaus. Zu beiden Seiten davon wucherten
die Inseln, aber dazwischen war das Wasser so glatt wie geschmolzenes
Metall. Vom Ufer legten Boote mit Laternen ab und steuerten auf
diesem Streifen in einer ungeordneten, schwankenden Prozession auf
das Schiff zu. Es war, als wollten ihnen die Schieber die Bahn frei
machen.
    »Gerüchte verbreiten sich schnell«, sagte die
Schwimmerin. »Sie haben doch sicher davon gehört?«
    »Von Clavain und dem Mädchen?«
    »Nicht allein. Es heißt, das Schiff sei wieder zum
Leben erwacht. Die Neutrinodetektoren – Sie wissen doch, was das
ist?« Sie wartete seine Antwort nicht ab. »Sie registrieren
einen raschen Anstieg in den Triebwerkskernen. Nach dreiundzwanzig
Jahren wärmen sie sich auf. Das Schiff macht sich für einen
Start bereit.«
    »Das hat ihm niemand befohlen.«
    »Es wartet nicht auf Befehle. Es trifft seinen eigenen
Entscheidungen. Die Frage ist, wo wir beim Start besser aufgehoben
wären, auf dem Schiff oder auf der anderen Seite von Ararat. Da
draußen tobt eine Schlacht, das wissen wir jetzt, auch wenn wir
zunächst nicht alle glauben wollten, was die Frau
erzählte.«
    »Daran besteht kaum noch ein Zweifel«, sagte Vasko.
»Und die Schieber haben wohl ebenfalls eine Entscheidung
getroffen. Sie helfen diesen Menschen, das Schiff zu erreichen. Sie wollen, dass sie sich in Sicherheit bringen.«
    »Vielleicht wollen sie nur nicht, dass sie ertrinken«,
sagte die Schwimmerin. »Oder sie tragen einfach jede unserer
Entscheidungen mit. Oder es ist ihnen egal, was geschieht.«
    Sie hieß Pellerin, und er hatte sie bei jener ersten Sitzung
auf der Sehnsucht nach Unendlichkeit kennen gelernt. Sie war
groß und kräftig wie alle Schwimmer und hatte ein
attraktives, kantiges Gesicht mit hoher Stirn. Das glatt nach hinten
gekämmte Haar war mit Duftpomade eingerieben und glänzte,
als wäre sie eben erst aus dem Wasser gestiegen. Die Flecken auf
Wangen und Nasenrücken, die Vasko zunächst für
Sommersprossen gehalten hatte, waren in Wirklichkeit eine
hellgrüne Pilzflechte. Alle Schwimmer mussten diese Flecken im
Auge behalten. Sie zeigten an, dass die See Gefallen an ihnen fand,
in sie eindrang, die Grenzen zwischen sehr unterschiedlichen
Organismen überwand. Früher oder später, so hieß
es, würde das Meer sich ihrer vollends bemächtigen und sie
in der Matrix der Musterschieber auflösen.
    Die Schwimmer, besonders altgediente Schwimmer wie Pellerin,
betonten gerne, welchen Gefahren sie sich jedes Mal aussetzten, wenn
sie in den Ozean stiegen.
    »Könnte schon sein, dass die Schieber die Menschen in
Sicherheit bringen wollen«, sagte Vasko. »Warum

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