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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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schwimmen
Sie nicht? Dann wüssten Sie es.«
    »Wenn es so ist, schwimmen wir nie.«
    Vasko lachte. »So? So war es noch nie, Pellerin.«
    »Wir schwimmen nicht, wenn die Schieber so erregt sind«,
erklärte sie. »Dann sind sie so unberechenbar wie eure
Schaber in den Bioanlagen. Wir haben schon genügend Leute
verloren, besonders, wenn das Meer so wild war wie gerade
jetzt.«
    »Ich finde ja, unter diesen Umständen wäre jedes
Risiko gerechtfertigt«, sagte er. »Aber was weiß ich
schon? Ich arbeite ja nur in den Bioanlagen.«
    »Wenn Sie Schwimmer wären, Malinin, dann kämen Sie
gar nicht auf die Idee, sich in einer solchen Nacht ins Meer zu
wagen.«
    »Sie haben wahrscheinlich Recht«, sagte er.
    »Und was heißt das?«
    Er dachte an das Opfer, das heute gebracht worden war. Die Geste
überstieg auch jetzt noch jedes Begreifen. Er hatte begonnen,
sie auszuloten, um etwas von ihren Dimensionen zu erahnen, aber es
gab immer noch Momente, in denen sich Abgründe vor ihm auftaten
und er über so viel selbstlosen Mut nur staunen konnte. Und wenn
er noch so lange lebte, nichts würde das Geschehen im Eisberg
jemals in den Schatten stellen.
    Clavains Tod würde immer in seiner Seele stecken wie ein
Granatsplitter, etwas schmerzhaft Fremdes, das er mit jedem Atemzug
spürte.
    »Das heißt«, sagte er, »wenn mir mein eigenes
Wohl wichtiger wäre als die Sicherheit von Ararat… ja, dann
hätte ich vielleicht Bedenken.«
    »Malinin, Sie sind ein unverschämter kleiner
Scheißkerl, der von nichts eine Ahnung hat.«
    Jetzt hatte sie ihn wütend gemacht. »Sie irren
sich«, sagte er. »Ich weiß mehr als genug. Danken Sie
Gott, dass Ihnen erspart blieb, was ich heute erleben musste. Ich
weiß, was Tapferkeit ist, Pellerin. Ich weiß, was das
Wort bedeutet, und ich wünschte, ich hätte es nie erfahren
müssen.«
    »Soviel ich hörte, war doch Clavain dieser Ausbund an
Tapferkeit«, gab sie zurück.
    »Habe ich etwas anderes behauptet?«
    »Es klang so, als wären Sie es gewesen.«
    »Ich war dabei«, sagte er. »Das hat mir schon
gereicht.«
    Sie zwang sich zur Ruhe. »Ich will Ihnen noch einmal
verzeihen, Malinin. Ihr alle habt schreckliche Stunden hinter euch,
die euch offenbar ziemlich zugesetzt haben. Aber ich musste zusehen,
wie zwei meiner besten Freunde vor meinen Augen ertranken. Zwei
weitere wurden vom Meer aufgelöst, und sechs wurden in die
Psychiatrie gebracht. Dort sitzen sie herum, sabbern vor sich hin,
kratzen sich die Finger blutig und malen damit an die Wände.
Eine davon ist meine Geliebte. Sie heißt Shizuko. Wenn ich sie
besuche, sieht sie mich nur an, dann lacht sie und malt weiter. Ich
bin für sie ungefähr so wichtig wie das Wetter.«
Pellerins Augen sprühten Blitze. »Also erzählen Sie
mir nicht, was Tapferkeit ist. Jeder von uns hat so seine Erlebnisse,
die er lieber vergessen würde.«
    Die ruhigen Worte hatte seine leidenschaftliche
Selbstgerechtigkeit ins Wanken gebracht. Er merkte erst jetzt, wie er
zitterte. »Es tut mir Leid«, sagte er leise. »Ich
hätte das nicht sagen sollen.«
    »Schon vergessen«, sagte sie. »Aber werfen Sie mir
niemals wieder vor, wir wären zu feige zum Schwimmen, verdammt
noch mal, wenn Sie keine Ahnung von uns haben.«
    Damit ging sie. Er blieb allein zurück. In seinem Kopf ging
alles drunter und drüber. Die Boote waren immer noch zu sehen,
doch jetzt waren die Laternen etwas weiter vom Ufer entfernt.

 
Fünfundzwanzig
Ararat

2675
     
     
    Vasko zog einen unauffälligen braunen Mantel über seine
Sicherheitsdienstuniform, verließ unbemerkt die Hohe Muschel
und ging in die Nacht hinaus.
    Draußen lag eine Spannung in der Luft wie vor einem
Gewitter. Erregte Menschenmassen drängten sich durch die
schmalen, gewundenen Straßen. Im Schein der Laternen wirkten
sie wie auf einem makabren Karnevalszug, aber niemand schrie oder
lachte; zu hören war lediglich ein dumpfes Raunen von tausenden
von Stimmen, das nur selten die Lautstärke eines normalen
Gesprächs überschritt.
    Vasko konnte die Menschen verstehen. Gegen Abend hatte die
Regierung in einer knappen Verlautbarung Clavains Tod bekannt
gegeben. Inzwischen hatte sich die Nachricht wohl bis in den letzten
Winkel der Kolonie verbreitet. Noch vor Sonnenuntergang und bevor die
Lichter am Himmel auftauchten, waren die ersten Passanten auf die
Straßen hinausgeströmt. Sie hatten nicht zu Unrecht den
Eindruck, die offizielle Stellungnahme sei nicht vollständig.
Niemand hatte von Khouri oder dem Kind

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