Offenbarung
Unterstützung befördert.
Selbst bei Helas mäßiger Schwerkraft gingen die Pilger
tief gebeugt, und jeder ihrer rutschenden Schritte verriet ihre
Erschöpfung.
Weit weg in einer Richtung, die sie für Süden hielt, zog
etwas ihren Blick auf sich. Sie kniff die Augen zusammen, sah aber
nur einen verblassenden Lichtschein, ein bläulich violettes
Leuchten, das hinter der nächsten Hügelkette versank.
Gleich darauf blitzte es in der gleichen Richtung wieder auf,
scharf und schnell wie ein Lidschlag, gefolgt von der gleichen rasch
erlöschenden Aura.
Das Schauspiel wiederholte sich noch ein drittes Mal. Dann kam
nichts mehr.
Sie konnte sich nicht so recht vorstellen, was diese Blitze
erzeugt haben mochte, aber etwa in dieser Richtung müsste die
Etappe des Ewigen Weges liegen, die derzeit von den
Kathedralen befahren wurde. Vielleicht hatte sie eine der
Räumungsaktionen beobachtet, von denen der Quästor
gesprochen hatte.
Doch jetzt passierte etwas ganz in ihrer Nähe. Die Plattform
mit den Observatoren kippte nach hinten. In einem Winkel von
dreißig Grad hielt sie an, die Fesseln wurden gelöst, und
alle Observatoren setzten sich mit einer einzigen unglaublich
fließenden Bewegung auf. Das kam so plötzlich, dass
Rachmika erschrak. Es war, als setzte sich ein Heer von
Schlafwandlern auf Kommando in Marsch.
Etwas drängte sich an ihr vorbei – nicht mit Gewalt,
aber auch nicht gerade behutsam. Ein zweites Etwas folgte.
Eine ganze Prozession vermummter Pilger zog an ihr vorüber.
Sie sah sich um. Die lange Reihe strebte der Plattform zu. Sie kam
aus einer Falltür im Karawanendach, die sie bisher nicht bemerkt
hatte. Zugleich stiegen die Pilger, die bisher auf der Plattform
gelegen hatten, Reihe für Reihe mit gleichgeschalteten
Bewegungen von der schiefen Ebene. Auf dem Karawanendach bildete sich
ebenfalls eine Prozession, die hinten um die Plattform herum
marschierte und durch eine zweite Falltür verschwand. Die neue
Observatorengruppe nahm ihre Position ein, bevor die Plattform noch
vollends leer war: Alle legten sich flach auf den Rücken und
schnallten sich an. Der Wechsel dauerte insgesamt nicht mehr als zwei
Minuten und vollzog sich in einer so zwanghaften Präzision, dass
man sich nicht vorstellen konnte, wie er schneller abzuwickeln sein
sollte. Rachmika hatte das Gefühl, als wäre jede Sekunde
dieses Schichtwechsels mit Blut erkauft. Immerhin entstand dadurch
eine Lücke, in der Haldora unbeobachtet blieb. Doch dann begriff
sie, dass das ja gar nicht stimmte. Auf keinem anderen Karawanendach
war eine ähnliche Aktivität im Gange: Die übrigen
Plattformen standen immer noch im richtigen Winkel für die
Beobachtung. Die Schichten waren wohl so gestaffelt, dass immer
einige Gruppen von Observatoren bereit waren, um Zeugen einer
eventuellen Auslöschung zu werden.
Rachmika hatte bisher angenommen, dass die Observatoren ihre
Plattformen niemals verließen. Doch nun marschierte eine ganze
Gruppe treu und brav in den Wagen zurück. Sie überlegte.
Lag es daran, dass zu viele Observatoren auf einen Platz warteten,
oder mussten sie aus Gesundheitsgründen hin und wieder von ihrem
Posten abgelöst werden?
Die Blitze in der Ferne waren sicher nur zufällig in diesem
Moment zu sehen gewesen, aber sie hatten den Wachwechsel auf eine
Weise betont, die Rachmika beunruhigte. Schon bei ihrem letzten
Besuch hier oben hatte sie sich wie ein unerwünschter Zuschauer
bei einer heiligen Zeremonie gefühlt. Nun kam sie sich vor, als
hätte man sie auf frischer Tat bei einer Schändung des
Heiligtums ertappt.
Inzwischen hatten auch die letzten der neuen Observatoren ihre
Plätze eingenommen. Obwohl sie im Weg gestanden hatte, war
anscheinend keine Verzögerung eingetreten. Die Plattform wurde
wieder im gleichen Winkel schräg gestellt wie alle anderen,
sodass die Beobachter Haldora direkt im Blick hatten.
Rachmika drehte sich um. Die letzten Angehörigen der
vorherigen Schicht verschwanden im Wageninnern. Drei waren noch zu
sehen, dann zwei, und schließlich stieg der letzte in das Loch.
Die Falltür, aus der die neue Gruppe gekommen war, hatte sich
geschlossen, doch die andere blieb offen.
Rachmika schaute zur Plattform zurück. Die Observatoren
behandelten sie wie Luft, vielleicht hatten sie sie gar nicht bemerkt
oder höchstens als kleineres Hindernis auf dem Weg zu ihren
Pflichten wahrgenommen.
Sie strebte der offenen Falltür zu, ohne die Plattform ganz
aus den Augen zu lassen. Doch die stand jetzt in einem
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