Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
nur Blut und Eis.«
    »Dabei warst du nicht einmal dabei, als es
passierte.«
    »Ich weiß. Kannst du dir vorstellen, wie Scorpio sich
fühlen muss?«
    Seit Urton neben ihm stand, war er in den Bannkreis mit
einbezogen. Er wusste nicht, wie sie es anstellte. Die Menschen, die
um sie herumströmten, hatten vermutlich keine Ahnung, wer Urton
war. Aber sie sendete offenbar ein warnendes Kribbeln aus, sodass
sich jeder hütete, ihr zu nahe zu kommen.
    »Es tut mir Leid, dass er das tun musste«, sagte
Urton.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, wie er es auf lange Sicht
verkraften soll. Die beiden waren sehr enge Freunde.«
    »Das weiß ich.«
    »Es war keine gewöhnliche Freundschaft«, beharrte
Vasko. »Clavain hat Scorpio einmal vor der Hinrichtung bewahrt.
Die beiden kannten sich schon aus Chasm City. Ich glaube, Clavain hat
auf dem ganzen Planeten niemanden so respektiert wie Scorpio. Und
Scorpio wusste das. Ich bin mit ihm zu der Insel gefahren, auf der
Clavain hauste. Ich sah sie miteinander sprechen. Es war ganz anders,
als ich es mir vorgestellt hatte. Sie benahmen sich wie zwei alte
Abenteurer, die viel zusammen erlebt hatten und wussten, dass niemand
sonst sie verstehen konnte.«
    »Scorpio ist noch gar nicht so alt.«
    »O doch«, sagte Vasko. »Jedenfalls für ein
Hyperschwein.«
    Urton führte ihn durch das Gedränge zum Strand. Die
Menge lichtete sich allmählich. Der warme, nach Salz duftende
Nachtwind brannte Vasko in den Augen. Die seltsamen Lichter am Himmel
zeichneten obskure Muster von Horizont zu Horizont. Kein Feuerwerk,
auch keine Aurora, sondern eher eine riesige, akribisch
ausgeführte geometrische Konstruktion.
    »Du fürchtest, dass er nicht darüber
hinwegkommt?«, fragte Urton.
    »Würdest du darüber hinwegkommen, wenn du deinen
besten Freund kaltblütig ermorden müsstest? Und das auch
noch langsam und vor Publikum?«
    »Wahrscheinlich nicht. Aber ich bin schließlich nicht
Scorpio.«
    »Was soll das heißen?«
    »Er hat die Kolonie in Clavains Abwesenheit gut geführt,
Vasko, und ich weiß, dass du viel von ihm hältst, aber
deshalb ist er noch lange kein Engel. Du sagtest doch selbst, dass
Clavain und das Schwein sich schon von Chasm City her
kannten.«
    Lichter glitten über den Himmel und zogen kreisrunde Ringe
hinter sich her, wie Vasko sie manchmal sah, wenn er die
Fingerspitzen gegen die geschlossenen Augenlider presste.
»Richtig«, sagte er zögernd.
    »Und was hat Scorpio deiner Meinung nach in Chasm City
getrieben? Glaubst du wirklich, er hätte die Armen und
Bedürftigen gespeist? Er war ein Verbrecher, ein
Mörder.«
    »Er hat gegen Gesetze verstoßen, die brutal und
unmenschlich waren«, widersprach Vasko. »Das ist nicht ganz
dasselbe.«
    »Es herrschte Krieg. Ich habe die gleichen
Geschichtsbücher gelesen wie du. Gewiss, das Kriegsrecht grenzte
ans Drakonische, aber ist das eine Rechtfertigung für Mord? Wir
reden nicht von Notwehr oder von Verteidigung seines Eigentums.
Scorpio tötete zum Vergnügen.«
    »Er war von Menschen versklavt und gefoltert worden«,
gab Vasko zu bedenken. »Und Menschen hatten ihn zu dem gemacht,
was er ist: eine genetische Sackgasse.«
    »Und deshalb darf man ihn nicht zur Rechenschaft
ziehen?«
    »Ich verstehe nicht ganz, worauf du hinauswillst,
Urton.«
    »Ich will nur sagen, dass Scorpio nicht das zarte Seelchen
ist, für das du ihn gerne halten würdest. Natürlich
hat ihn erschüttert, was er Clavain angetan hat…«
    »Was er ihm antun musste«, verbesserte Vasko.
    »Wie auch immer. Es bleibt sich gleich: Er wird genauso damit
fertig werden wie mit all den anderen Gräueltaten, die er
begangen hat.« Sie klappte den Schirm ihrer Mütze hoch und
sah ihn an. Ihre Augen huschten unruhig über sein Gesicht,
registrierten jedes verräterische Zucken. »Du glaubst mir
doch?«
    »Das kann ich im Moment noch nicht sagen.«
    »Du musst mir glauben, Vasko.« Er merkte wohl, dass sie
ihn nicht mehr Malinin nannte. »Denn sonst müsstest du
daran zweifeln, dass er auch weiterhin fähig ist, die Kolonie zu
führen. Und so weit würdest du doch wohl nicht
gehen?«
    »Nein, natürlich nicht. Ich habe volles Vertrauen zu
ihm. Frage, wen du willst, sie werden dir alle das Gleiche sagen. Und
weißt du was? Wir haben Recht.«
    »Aber natürlich.«
    »Und wie steht es mit dir, Urton? Zweifelst du an
ihm?«
    »Nicht im Mindesten«, sagte sie. »Ich behaupte
sogar, dass ihm das, was heute geschehen ist, keine einzige
schlaflose Nacht bereiten wird.«
    »Das

Weitere Kostenlose Bücher