Offenbarung
klingt unglaublich abgebrüht.«
»Das ist meine Absicht. Denn das verlange ich auch von ihm.
Er muss abgebrüht sein. Meinst du nicht auch, dass wir einen
Führer wollen – brauchen –, der sich nicht von
Gefühlen beherrschen lässt?«
»Ich weiß nicht«, sagte er. Er war mit einem Mal
todmüde. »Ich weiß nur, dass ich nicht ausgegangen
bin, um über das zu reden, was heute geschehen ist. Ich wollte
frische Luft schnappen und versuchen, möglichst viel zu
vergessen.«
»Ich auch«, sagte Urton. Ihre Stimme war weicher
geworden. »Es tut mir Leid. Ich wollte nicht alles wieder
aufrühren. Aber ich kann die Dinge wohl nur verarbeiten, indem
ich darüber rede. Die Belastung war für uns alle ziemlich
groß.«
»Das kann man wohl sagen. Bist du jetzt fertig?« Er
spürte, wie der Jähzorn in ihm hochkochte und gleich einer
scharlachroten Flut gegen die Mauern der Höflichkeit anbrandete.
»Gestern und heute hast du mir ständig den Eindruck
vermittelt, als könntest du es nicht ertragen, mit mir auf einer
Welt oder gar in einem Raum zu sein. Woher der plötzliche
Sinneswandel?«
»Ich habe mich schlecht benommen, und es tut mir Leid«,
sagte sie.
»Nimm es mir nicht übel, aber das fällt dir
ziemlich spät ein.«
»Ich musste erst selbst mit mir klarkommen, Vasko. Hab doch
ein wenig Nachsicht mit mir. Es ging nicht gegen dich
persönlich.«
»Da bin ich aber froh.«
»Wir hatten einen gefährlichen Auftrag. Unsere Gruppe
war gut ausgebildet. Wir kannten uns und wussten, dass wir uns
aufeinander verlassen konnten. Und dann kommst du im letzten Moment
hereingeschneit. Ich kenne dich nicht, aber ich soll dir mein Leben
anvertrauen. Ich kann dir ein Dutzend SD-Leute nennen, die ich lieber
in diesem Boot gesehen hätte als dich. Denn bei denen hätte
ich mich sicher gefühlt.«
Vasko sah, dass sie ihn zum Ufer führte. Vor dem Wasser
ragten die Boote auf wie schwarze Schatten. Einige waren nur
vertäut und konnten jederzeit ablegen, andere waren auf den
Strand gezogen.
»Scorpio hat verfügt, dass ich mitkomme«, sagte
Vasko. »Und nachdem die Entscheidung gefallen war, musstest du
dich eben damit abfinden. Oder hattest du kein Vertrauen in sein
Urteil?«
»Eines Tages wirst du in der gleichen Situation sein wie ich,
Vasko, und es wird dir genauso wenig gefallen. Dann werden wir ja
sehen, ob du immer noch im Brustton der Überzeugung forderst,
man müsse sich eben auf das Urteil eines anderen
verlassen.« Urton hielt inne und schaute zum Himmel. Eine
dünne rote Linie zog sich von Horizont zu Horizont. Sie hatte
seine Frage nicht beantwortet. »Ich hatte mir den Abend anders
vorgestellt. Ich habe dich nicht aus der Menge gefischt, um mich
wieder mit dir zu streiten. Ich wollte mich entschuldigen und dir
begreiflich machen, warum ich mich so verhalten habe.«
Er kämpfte seinen Zorn nieder. »Na schön.«
»Außerdem gebe ich zu, dass ich mich geirrt
habe.«
»Du konntest nicht wissen, wie alles enden würde«,
sagte er.
Sie zuckte die Achseln und seufzte. »Nein, wohl nicht. Was
immer die Leute sagen, als es darauf ankam, hat er sich nicht
gedrückt. Er hat nicht gezögert, sein Leben
einzusetzen.«
Sie hatten die Boote erreicht. Auf dem Strand lagen fast nur noch
Wracks: Ihre Rümpfe waren nahe der Wasserlinie von
Meeresorganismen zerfressen und hatten große Löcher.
Früher oder später hätte man sie zum Einschmelzen
gebracht, um aus dem Material neue Schiffe zu fertigen. Die
Metallarbeiter waren sehr darauf bedacht, kein Stückchen Eisen
zu vergeuden, das sich wiederverwerten ließ. Aber die Ausbeute
war immer etwas geringer als die Masse der ursprünglichen
Boote.
»Siehst du«, sagte Urton und zeigte über die
Bucht.
Vasko nickte. »Ich weiß. Sie haben das Schiff bereits
eingekreist.«
»Das meine ich nicht. Etwas höher, Falkenauge. Siehst du
sie jetzt?«
»Ja«, sagte er nach kurzem Zögern. »Ja, mein
Gott. Sie werden es niemals schaffen.«
Etwas über dem Ring aus hüpfenden Booten, den Vasko
bereits bemerkt hatte, waren am Fuß des Schiffes winzige
Lichtfünkchen zu sehen. Nach seiner Schätzung konnten sie
nicht mehr als ein paar Dutzend Meter über dem Meer sein.
Darüber ragte das Schiff noch mehrere tausend Meter hoch
auf.
»Wie kommen sie denn da hinauf?«, fragte er.
»Hand über Hand, nehme ich an. Du hast doch gesehen, wie
das Ding aus der Nähe aussieht? Wie eine bröckelige
Felswand, überall Griffe und Tritte. Wahrscheinlich ist es gar
nicht so schwierig.«
»Aber der
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