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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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weit auseinander, nicht wahr?«
    Rachmika schwankte zwischen Höflichkeit und Ablehnung.
»Sie werden feststellen, dass uns viel mehr trennt, als Sie
denken.«
    »Inwiefern denn? Und wieso kannst du nicht ›du‹ zu
mir sagen? Wir wollen beide nach Süden, nicht wahr? Wir haben
uns der Karawane angeschlossen, um zum Weg zu kommen. So
verschieden können wir doch gar nicht sein.«
    »O doch«, sagte Rachmika. »Meinetwegen kann ich
dich duzen. Aber ich bin nicht auf Pilgerfahrt. Ich bin auf… ich
stelle Nachforschungen an.«
    Er lächelte. »Nenne es, wie du willst.«
    »Ich bin in einer Privatangelegenheit unterwegs. Eine rein
profane Angelegenheit, die nichts mit deiner Religion zu tun hat
– an die ich übrigens nicht glaube. Es geht
allerdings um Recht und Unrecht.«
    »Ich habe mich nicht getäuscht. Du bist wirklich eine
sehr ernsthafte und sehr eigenwillige Person.«
    Sein Ton gefiel ihr nicht. »Solltest du nicht zu deinen
Freunden zurückkehren?«
    »Ich kann nicht mehr zurück«, sagte er. »Die
kurze Unaufmerksamkeit hätte man vielleicht noch hingehen
lassen: vielleicht sogar einen Fehltritt, wie ich ihn vorhin
erwähnte. Aber wenn man die Gemeinschaft einmal verlässt,
ist alles vorbei. Dann ist man vergiftet. Und es gibt kein
Zurück mehr.«
    »Warum bist du gegangen?«
    »Deinetwegen, wie schon gesagt. Als ich dich da oben sah,
bekam der Panzer meines Glaubens einen Riss. Er war vermutlich nie
sehr fest gewesen, sonst hätte ich dich wohl gar nicht
wahrgenommen. Aber beim zweiten Mal, als du beinahe gefallen
wärst, da hatte ich schon Zweifel, ob meine Überzeugung
stark genug wäre.« Rachmika wollte etwas sagen, aber er hob
die Hand und fuhr fort. »Du darfst dir keine Vorwürfe
machen. Ich hätte mich da oben wirklich von jedem ablenken
lassen. Mein Glaube war nie so stark wie bei den anderen. Und als ich
mir ausmalte, was vor uns lag, worauf ich mich einlassen wollte, da
wurde mir klar, dass ich nicht die Kraft haben würde, es
durchzuhalten.«
    Sie wusste, was er meinte. Die Strapazen auf diesem Teil der
Pilgerfahrt waren nichts, verglichen mit dem, was Pietr erwartete,
wenn er erst am Ziel war. In der Kathedrale würde man seinen
Glauben mit chemischen Mitteln für alle Zeiten festigen. Und
alle Observatoren wurden durch chirurgische und neurologische
Eingriffe so verändert, dass sie Haldora in jedem Augenblick
seiner Existenz beobachten konnten. Kein Schlaf, keine
Unaufmerksamkeit, nicht einmal ein Zwinkern wäre ihm mehr
gestattet.
    Nur stumme Beobachtung, bis zu seinem Tod.
    »Ich hätte die Kraft auch nicht«, sagte sie.
»Selbst wenn ich religiös wäre.«
    »Und warum bist du es nicht?«
    »Weil ich an die Vernunft glaube. Planeten hören nicht
ohne guten Grund einfach auf zu existieren.«
    »Aber es gibt einen guten Grund. Den besten, den man sich
denken kann.«
    »Gottes Werk?«
    Pietr nickte. Sie beobachtete fasziniert, wie sein Adamsapfel
gegen den Rand seines Stehkragens drückte. »Kannst du dir
eine bessere Erklärung vorstellen?«
    »Aber warum hier? Warum gerade jetzt?«
    »Weil wir in der Endzeit leben«, sagte Pietr.
»Zuerst gab es die Kriege und die Seuchen der Menschheit. Dann
kamen fremde Seuchen und Berichte von fremden Kriegen. Hast du dich
nie gefragt, woher die Flüchtlinge kommen? Hast du dich nie
gefragt, warum sie ausgerechnet hierher kommen? Sie wissen es.
Sie wissen, dass dies der Ort ist, wo alles anfängt und wo es
geschehen wird.«
    »Sagtest du nicht, du wärst nicht
gläubig?«
    »Ich sagte, ich bin mir nicht sicher, wie stark mein Glaube
ist. Das ist nicht ganz dasselbe.«
    »Ich denke, wenn Gott uns etwas mitteilen wollte, gäbe
es doch sicher bessere Möglichkeiten, als einen Gasplaneten
Lichtjahre von der Erde entfernt willkürlich verschwinden und
wieder auftauchen zu lassen.«
    »Aber er tut es doch nicht willkürlich«, gab Pietr
zurück, ohne auf den Rest ihrer Argumente einzugehen. »Auch
wenn es alle Welt glaubt, es ist nicht wahr. Die Kirchen wissen es,
und wer sich die Zeit nimmt, die Aufzeichnungen zu studieren,
weiß es auch.«
    Damit hatte dieser Pietr nun doch ihr Interesse geweckt. Er hatte
nämlich Recht: Die Kirchen taten immer so, als handle es sich
bei den Auslöschungen Haldoras um willkürliche Ereignisse
im Rahmen eines geheimen göttlichen Plans. Beschämend war
nur, dass sie diese Information so lange hingenommen hatte, ohne sie
zu hinterfragen. Sie war gar nicht auf die Idee gekommen, dass die
Wahrheit komplexer sein könnte. Sie

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