Offenbarung
gekämmtes Haar schimmerte
bläulich. »Das Kind hat inzwischen vier potenziell
traumatische Operationen hinter sich. Zuerst setzte ihm Remontoire
Synthetikerimplantate ein, um sich über seine leibliche Mutter
mit ihm verständigen zu können. Dann wurde es chirurgisch
aus dem Mutterschoß geholt und entführt. Nachdem es
möglicherweise einige Zeit in einem Inkubator gelegen hatte,
pflanzte man es Skade ein. Zu guter Letzt wurde es unter nicht gerade
optimalen Bedingungen per Feldchirurgie wieder aus Skades Schoß
entfernt.«
Scorpio nahm an, dass Valensin über die Geschehnisse im
Eisberg voll informiert war. »Glauben Sie mir: Wir hatten keine
Wahl.«
Valensin verschränkte die Finger. »Immerhin schläft
sie jetzt. Das ist gut. Und ich kann im Moment keine offensichtlichen
Komplikationen feststellen. Aber wie es langfristig aussieht? Wer
weiß? Wenn Khouri uns die Wahrheit sagt, war eine normale
Entwicklung ohnehin nicht vorgesehen.« Valensin setzte sich
wieder. Seine langen Beine klappten ein wie Stelzen mit Gelenken,
seine Hosen hatten rasiermesserscharfe Bügelfalten.
Ȇbrigens hat Khouri in diesem Zusammenhang einen Wunsch
geäußert, aber ich hielt es für besser, mich zuerst
an Sie zu wenden.«
»Worum geht es?«
»Sie möchte, dass ihr das Mädchen wieder in die
Gebärmutter eingesetzt wird.«
Scorpio betrachtete den Brutkasten. Er war größer und
leistungsfähiger als das tragbare Gerät, das sie mit zum
Eisberg genommen hatten. Inkubatoren waren auf Ararat technische
Kostbarkeiten, die sorgsam gehegt und gepflegt wurden.
»Wäre das denn möglich?«, fragte er.
»Im Normalfall würde ich so etwas niemals in Betracht
ziehen.«
»Dies ist kein Normalfall.«
»Einen Fötus in den Mutterleib zurückzupflanzen,
ist nicht so einfach, wie einen Brotlaib wieder in den Ofen zu
schieben«, sagte Valensin. »Dazu ist, abgesehen von der
hormonelle Umstellung, ein schwieriger mikrochirurgischer Eingriff
erforderlich… lauter sehr komplexe Verfahren.«
Scorpio ließ die Herablassung des Doktors an sich abprallen.
»Aber möglich wäre es?«
»Wenn der Wunsch stark genug ist.«
»Aber es wäre riskant?«
Valensin zögerte kurz, als hätte er bislang nur die
technischen Schwierigkeiten und nicht die Risiken erwogen. Dann
nickte er. »Richtig. Für die Mutter wie für das
Kind.«
»Dann kommt es nicht infrage«, erklärte
Scorpio.
»Sie scheinen sich da recht sicher.«
»Dieses Kind hat meinen Freund das Leben gekostet. Nachdem
wir es jetzt wiederhaben, werde ich nicht zulassen, dass wir es
endgültig verlieren.«
»In diesem Fall sind Sie hoffentlich auch bereit, der Mutter
die schlechte Nachricht beizubringen.«
»Überlassen Sie das nur mir«, sagte Scorpio.
»Nun gut.« Das klang fast ein wenig enttäuscht. Der
Arzt fuhr fort: »Noch etwas: Sie hat im Schlaf wieder dieses
Wort gesagt.«
»Was für ein Wort?«
»Hella«, sagte Valensin. »Oder so
ähnlich.«
Hela
2727
Rachmika war allzu optimistisch gewesen. Sie hatte sich
ausgerechnet, dass die Karawane nach weiteren zwei bis drei Stunden
Fahrt das östliche Ende der Brücke erreichen müsste,
aber nach vier Stunden hatten sie erst die Hälfte der Strecke
zurückgelegt. Es hatte zu viele frustrierende Verzögerungen
gegeben. Manchmal zwangen enge Haarnadelkurven in der Felswand die
Karawane, den gleichen Weg wieder zurückzufahren. Manchmal
musste sie sich durch Tunnels im Fels zwängen, wo das Eis zu
beiden Seiten gegen die Wagen schrammte und kaum mehr als
Schrittgeschwindigkeit möglich war. Zwei- oder dreimal war sie
wegen irgendwelcher technischer Pannen vollends stehen geblieben
– ohne dass die Fahrgäste erfuhren, worum es ging. Rachmika
hatte den Eindruck, dass man nach solchen Aufenthalten versuchte, die
verlorene Zeit wieder aufzuholen, aber die verwegene Fahrweise –
die dazu führte, dass die Wagen heftig hin und her schwankten
und bedenklich nahe an die Kante gerieten – verstärkte ihre
Unruhe nur noch weiter. Als ihr der Quästor eröffnet hatte,
sie würden über die Brücke fahren, war sie
erschrocken, doch jetzt zog sie diesen Weg der gefährlichen
Fahrt über das Felssims schon beinahe vor. Die Straße auf
dem Sims war im vergangenen Jahrhundert aus den Klippen
herausgesprengt oder herausgehauen worden. Seither hatte man
vermutlich mehrfach Reparaturen und Verlegungen der Fahrbahn
vorgenommen. Im Lauf der Jahre waren sicher immer wieder Teile
weggebrochen, und viele Wagen waren auf den Grund der
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