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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Schultern.«
    »Komisch, so ungefähr fühle ich mich
auch.«
    »Du wirst das Kind schon schaukeln. Weißt du noch, wie
es Clavain damals im Château der Mademoiselle erging?«
    »Das ist lange her.«
    »Ich erinnere mich jedenfalls noch gut daran. Er machte genau
so ein Gesicht wie du jetzt, Scorp, so als wäre sein ganzes
Leben nur eine Aneinanderreihung von Fehlern gewesen, und nun sei der
Gipfel, die Katastrophe erreicht. Damals hätte er fast alles
verloren. Aber es kam nicht dazu. Er behielt die Fäden in der
Hand. Und es klappte. Am Ende stellte sich die Kette von
vermeintlichen Fehlern als eine Serie von goldrichtigen
Entscheidungen heraus.«
    Scorpio lächelte. »Danke für die Seelenmassage,
Antoinette.«
    »Ich finde, du solltest das wissen. Die Lage wird immer
komplizierter, Scorpio, und ich weiß, du glaubst manchmal, du
wärst hier nicht ganz am richtigen Platz, wenn du verstehst, was
ich meine. Aber das ist ein Irrtum. Was wir jetzt brauchen, ist ein
Führer, wie du es bist: gerade heraus und sachlich. Du bist kein
Politiker, Scorp. Dem Himmel sei Dank. Clavain hätte genauso
gedacht.«
    »Meinst du?«
    »Ich weiß es. Ich möchte dich nur bitten,
gerade jetzt keine Krise heraufzubeschwören.«
    »Ich werde mich bemühen.«
    Sie seufzte und versetzte ihm einen scherzhaften Rippenstoß.
»Das wollte ich dir noch sagen, bevor ich gehe.«
    »Du gehst?«
    »Mein Entschluss steht fest: Ich fliege mit einer von
Remontoires Fähren nach Ararat zurück. Xavier ist noch
unten.«
    »Das ist riskant«, warnte er. »Warum bittest du
Remontoire nicht einfach, Xavier mit heraufzubringen? Er hat sich
auch bereit erklärt, Orca zu holen. Ich möchte nicht
taktlos sein – Verzeihung –, aber auf diese Weise verlieren
wir wenigstens nur einen von euch, sollten die Wölfe die
Fähre abschießen.«
    »Ich komme nicht zurück«, sagte sie. »Ich
werde auf Ararat bleiben.«
    Das musste er erst verdauen. »Aber du bist doch
geflohen«, sagte er endlich.
    »Nein, Scorp, ich bin nur deshalb auf der Unendlichkeit geblieben, weil mir nichts anderes übrig blieb. Ich werde da
unten gebraucht, bei den tausenden, die wir zurücklassen
müssen. Das heißt, mich brauchen sie natürlich nicht
wirklich, aber auf Xavier können sie nicht verzichten. Er ist so
ziemlich der Einzige, der alles reparieren kann, was
kaputtgeht.«
    »Du wirst dich schon nützlich machen«, versicherte
Scorpio lächelnd.
    »Wenn man mich hin und wieder mal fliegen lässt, werde
ich wohl auch nicht vollends den Verstand verlieren.«
    »Wir könnten dich auch hier oben gut gebrauchen. Ich
kann gar nicht genug Verbündete haben.«
    »Du hast Verbündete, Scorp; du weißt es nur noch
nicht.«
    »Du bist sehr tapfer«, sagte er.
    »Der Planet ist gar nicht so schrecklich«, antwortete
sie. »Mach mich bloß nicht zur Märtyrerin. Ich hatte
nie etwas gegen Ararat. Ich mag die Sonnenuntergänge. Und nach
all den Jahren schmeckt mir sogar der Seetang-Tee. Im Grunde bleibe
ich einfach zu Hause.«
    »Wir werden dich vermissen.«
    Sie schlug die Augen nieder. Er ahnte, dass sie ihn nicht ansehen
konnte. »Ich weiß nicht, wie es weitergeht, Scorp.
Vielleicht bringst du dieses Schiff nach Hela, so wie Aura es will.
Vielleicht landet ihr auch irgendwo anders. Aber irgendetwas sagt
mir, dass wir uns nicht wiedersehen werden. Das Universum ist
groß, und die Chance, dass sich unsere Wege noch einmal
kreuzen…«
    »Das stimmt, es ist groß«, sagte er,
»groß genug, um Platz für ein paar glückliche
Zufälle zu haben.«
    »Das mag für manche Leute gelten, aber nicht für
Leute wie dich und mich, Scorp.« Jetzt hob sie den Kopf und sah
ihm fest in die Augen. »Als ich dich kennen lernte, hatte ich
Angst vor dir, jetzt kann ich es ja zugeben. Ich hatte Angst, weil
ich dumm war. Aber ich bin froh, dass alles so gekommen ist. Ich bin
froh, dass ich ein paar Jahre mit dir zusammen sein durfte.«
    »Für mich war es die Hälfte meines
Lebens.«
    »Es waren gute Jahre, Scorp. Ich werde sie nicht
vergessen.« Wieder schlug sie die Augen nieder. Ob sie seine
kleinen Kinderschuhe betrachtete? Plötzlich wurde er verlegen
und wünschte, größer zu sein und
menschenähnlicher auszusehen, weniger wie ein Schwein und mehr
wie ein Mann. »Remontoire wird die Fähre bald startklar
machen«, sagte sie. »Ich muss jetzt gehen. Pass gut auf
dich auf. Du bist ein guter Mensch. Ein gutes Schwein.«
    »Ich werde mir Mühe geben«, sagte Scorpio.
    Sie umarmte und küsste ihn.
    Dann ging sie.

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