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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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mit
überhängendem Eis rechnen. Das ist nicht gut für die
Observatoren: versperrt ihnen den Blick auf den Planeten. Und auf der
Treppe haben die Kathedralen die beste Gelegenheit, einen Vorsprung
herauszufahren. Sollte es jedoch einer Kathedrale irgendwann
gelingen, die Brücke zu überqueren, dann wäre sie den
anderen so weit voraus, dass sie anhalten müsste, um sie
aufholen zu lassen. Danach würde sie nie wieder überholt
werden. Sie könnte sich nach Belieben verbreitern. Es wäre
nicht nur eine große Ehre – diese Kathedrale würde
den Weg beherrschen.«
    »Aber keine Kathedrale hat jemals die Brücke
überquert.« Sie erinnerte sich an das Trümmerfeld, das
sie vom Karawanendach aus gesehen hatte. »Es wurde einmal
versucht, ich weiß…«
    »Niemand bestreitet, dass es Wahnsinn wäre,
Schätzchen, aber so ist er nun einmal, der glubschäugige
Dekan Quaiche. Sei froh, dass man dich auf die Käthe schickt. Angeblich verlassen selbst die Ratten inzwischen die Mor.«
    »Der Dekan denkt wahrscheinlich, er hätte gute
Chancen«, sagte sie.
    »Oder er ist verrückt.« Der Mann grinste und
ließ dabei schadhafte gelbe Zähne sehen. »Du kannst
dir aussuchen, was dir lieber ist.«
    »Wozu?«, sagte sie und fügte hinzu: »Warum
nennst du ihn glubschäugig?«
    Alle lachten. Einer hielt sich die Finger wie eine Brille vor die
Augen.
    »Das Kind hat noch viel zu lernen«, sagte jemand.
     
    Die Eiserne Katharina war eine von den kleineren
Kathedralen im Zug und fuhr allein im Abstand von mehreren Kilometern
hinter der Hauptgruppe her. Andere lagen noch weiter zurück,
aber von denen sah man kaum mehr als die Turmspitzen am Horizont.
Sicherlich taten sie, was sie konnten, um die anderen einzuholen und
dem gedachten wandernden Punkt auf dem Weg, der sich genau
unter Haldora befand, möglichst nahe zu kommen. Es galt als
schwere Schande, wenn eine Kathedrale so weit zurückfiel, dass
selbst einem zufälligen Beobachter auffiel, dass Haldora nicht
mehr ganz im Zenith stand. Noch unsäglich viel schlimmer war die
Schmach, wenn eine Kathedrale den Planeten vollends aus den Augen
verlor. Deshalb hatte die Tätigkeit der Räumtrupps einen so
hohen Stellenwert. Ein verlorener Tag hier oder dort war kein
Problem, aber viele solcher Verzögerungen konnten für eine
Kathedrale katastrophale Folgen haben.
    Als die Eiserne Katharina in Sicht kam, wurde der Wagen
langsamer, fuhr einen weiten Bogen und setzte sich hinter sie.
Dadurch konnte sich Rachmika zumindest eine Hälfte ihrer neuen
Heimat gründlich betrachten. Die Kathedrale, der man sie
zugewiesen hatte, konnte trotz ihrer geringen Größe
durchaus als typisches Beispiel für den gängigen Stil
betrachtet werden.
    Die Bodenplatte war ein Rechteck von dreißig Metern Breite
und etwa einhundert Metern Länge. Darüber erhob sich der
Aufbau, darunter – von Metallblenden teilweise verdeckt –
lagen die großen Motoren und Antriebssysteme. Diese Kathedrale
schob sich mithilfe von vielen parallelen Raupenfahrwerken voran.
Derzeit schwebte auf einer Seite eine ganze Antriebseinheit etwa zehn
Meter über dem Eis. Techniker in Druckanzügen hingen unten
an einer der stillgelegten Ketten und führten Reparaturen aus.
Die bläulich violetten Schweißflammen bildeten einen
hübschen Kontrast. Rachmika hatte sich nie überlegt, wie
die Kathedralen solche Wartungsarbeiten erledigten. Nun war sie doch
sehr beeindruckt von der blinden Skrupellosigkeit dieser Lösung
– man reparierte Teile der Antriebsmaschinerie einfach im
Fahren.
    Wie sie erst jetzt bemerkte, wurde auch an der Kathedrale selbst
überall gearbeitet. Große Teile der Aufbauten verschwanden
hinter einem Gespinst von Baugerüsten. Wohin sie auch schaute,
waren winzige Gestalten eifrig am Werk. Sie kamen in schwindelnder
Höhe aus verschiedenen Öffnungen hervor und verschwanden
wieder wie mechanische Figürchen.
    Über der Bodenplatte entsprach die Kathedrale mehr oder
weniger traditionellen architektonischen Vorstellungen. Von oben
gesehen, war sie etwa kreuzförmig, ein Langschiff, von dem nach
rechts und nach links zwei kürzere Querschiffe abgingen, mit
einer kleineren Kapelle am oberen Ende des Kreuzes. Am Schnittpunkt
von Lang- und Querschiff erhob sich ein quadratischer Turm, der nach
hundert Metern – etwa so hoch wie die Kathedrale lang war –
in einer vierseitigen, noch einmal fünfzig Meter hohen Spitze
mit gezackten Kanten auslief.
    Ganz oben thronte ein Gewirr von Satellitenschüsseln

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