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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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und
Spiegeltelegrafen. Am Rand des Fundaments wuchsen etwa ein Dutzend
Gittermasten empor, die sich nach innen neigten, bis sie das Dach des
Langschiffs berührten. Ein paar dieser Strebepfeiler fehlten
offensichtlich oder waren nicht vollständig. Die Kathedrale
wirkte überhaupt in großen Teilen planlos
zusammengewürfelt, die verschiedenen Teile wollten nicht so
recht harmonieren. Ganze Abschnitte waren offenbar in höchster
Eile oder mit sparsamsten Mitteln ersetzt worden – vielleicht
auch beides. Die Turmspitze war nicht ganz senkrecht und musste von
einer Seite mit einem Gerüst abgestützt werden.
    Rachmika wusste nicht, ob sie traurig oder erleichtert sein
sollte. Seit sie wusste, was Dekan Quaiche mit der Morwenna vorhatte, war sie froh, dass man sie nicht dorthin geschickt
hatte. Sie konnte nach Herzenslust in Tagträumen schwelgen, aber
sie hätte keine Chance, ihren Bruder zu retten, bevor die Morwenna die Brücke erreichte. Sie bräuchte schon
viel Glück, um bis dahin überhaupt eine Hierarchieebene der
Kathedrale zu infiltrieren.
    Der Gedanke an Infiltration brachte in ihrem Innern eine Saite zum
Schwingen. Es war ein sehr persönliches, intimes Gefühl,
das an das Innerste ihres Wesens rührte. Wieso hatte das Wort
plötzlich eine so starke, so unmittelbare Wirkung? Eigentlich
war ihre Mission doch auf Infiltration angelegt, seit sie ihr Dorf
verlassen hatte, um sich der Karawane anzuschließen. Der Plan,
sich so lange durch die verschiedenen Schichten emporzuarbeiten, bis
sie Harbin ausfindig machte, war nur ein späterer,
gefährlicherer Aspekt eines Abenteuers, auf das sie sich im
Geiste längst eingestellt hatte. Den ersten Schritt hatte sie
schon vor vielen Wochen getan, als sie hörte, dass eine Karawane
so nahe am Ödland vorbeiziehen würde.
    Doch genau genommen hatte es noch früher begonnen.
    Sehr viel früher.
    Ein Schwindel erfasste Rachmika. In einem lichten Moment hatte
sich eine Tür geöffnet und sofort wieder geschlossen. Sie
selbst hatte sie zugeschlagen, wie um zu laute Geräusche, zu
grelles Licht auszuschließen. Sie hatte einen Plan gesehen
– eine Infiltrationsstrategie –, der anders war als jener,
den sie zu kennen glaubte. Einen Plan, der ihr eigenes Vorhaben
einschloss und noch weit darüber hinausging. Eine weit
reichende, ungeheuer ehrgeizige Infiltrationsstrategie, neben der
ihre lange Reise quer durch Hela nur ein einzelnes Kapitel in einer
sehr viel längeren Geschichte war.
    In dieser Geschichte war sie nicht nur die Puppe, sondern zugleich
auch der Puppenspieler. Ein Gedanke flammte mit schmerzhafter
Deutlichkeit auf: Du selbst hast das alles in Gang
gesetzt.
    Du wolltest, dass es so kommt.
    Sie riss sich los von solchen Gedanken und zwang sich dazu, sich
wieder mit den Kathedralen zu beschäftigen. Sie durfte sich
jetzt keinen Fehler erlauben. Ein Augenblick der Unachtsamkeit
könnte alles verderben.
    Ein Schatten fiel auf den Wagen. Er war nun unter der Eiserne
Katharina und fuhr zwischen den mächtigen Schlepperketten
dahin. Räder und Ketten bewegten sich langsam, aber
unaufhaltsam. Ihre Fehler waren nicht mehr von Belang: Sie musste
sich auf den Fahrer verlassen.
    Sie ging auf die andere Seite der Kabine. Von der Bodenplatte der
Kathedrale senkte eine Rampe herab. Die Ränder waren mit
blinkenden roten Lichtern gekennzeichnet. Das untere Ende schrammte
über den Boden und hinterließ eine glatte Spur. Das
Karawanenfahrzeug schob sich auf die schiefe Ebene, die Räder
drehten kurz durch, bevor sie Halt fanden, dann fuhr es hinauf.
Rachmika hielt sich an einem Handgriff fest. Das Getriebe arbeitete
auf Hochtouren und brachte die gesamte Metallkarosserie zum
Vibrieren.
    Es dauerte nicht lange, dann waren sie oben. Der Wagen stellte
sich wieder gerade. Sie standen in einer großen halbdunklen
Halle. Hier warteten bereits zwei weitere Fahrzeuge neben einer
Vielzahl von offenbar uralten Gerätschaften, deren Funktion
Rachmika fremd war. Dazwischen bewegten sich Gestalten in
Druckanzügen. Drei davon versuchten, eine fahrbare Schleuse an
der Seite des Wagens einrasten zu lassen und rätselten an den
Schaltungen herum, als hätten sie so etwas noch nie gemacht.
    Endlich ertönten mehrere dumpfe Schläge, es zischte
durchdringend, und schließlich waren Stimmen zu hören.
Ihre Reisegefährten sammelten ihre Habseligkeiten ein und
strebten der Schleuse zu. Auch sie hob ihr Bündel auf und machte
sich bereit. Eine Weile geschah gar nichts. Die Stimmen wurden
lauter,

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