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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Metall
zusammengeschweißt. Einige der Ungeheuer waren sogar mit der
Beinmechanik verbunden, sodass sie bei jedem Schritt der Kathedrale
das Maul weit aufrissen und wieder zuklappten.
    Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute zu den Fenstern
empor. Die große Halle der Kathedrale reichte weit über
den Punkt hinaus, wo die Teleskoppfeiler abknickten und in die Mauer
einmündeten. Gewaltige Buntglasfenster waren auf Haldoras
Antlitz gerichtet. Auf Vorsprüngen aus Stein und Metall hockten
Greife und andere Wappentiere. Noch spektakulärer war der Glockenturm, ein spitz zulaufender, schwankender Eisenfinger,
der sogar die Halle in den Schatten stellte. Rachmika hatte noch nie
ein Gebäude gesehen, das so hoch in den Himmel ragte. An diesem
Turm konnte man die ganze Geschichte der Kathedrale ablesen. Die
Wachstumsschichten lagen offen zutage, sodass man genau verfolgen
konnte, wie das riesige Bauwerk zu seiner jetzigen Größe
herangereift war. Da gab es architektonische Torheiten und Projekte,
die man wieder verworfen hatte. Ellbogenförmige Auswüchse
endeten im Nichts. Mehrfach wurde der Turm schmäler, so als
hätte er schon kurz vor der Vollendung gestanden und sich dann
doch entschlossen, noch hundert Meter weiter zu wachsen. Und irgendwo
ganz nahe der Spitze – von unten schwer zu erkennen –
wölbte sich eine kleine Kuppel, deren erleuchtete Fenster
zweifelsfrei signalisierten, dass dort jemand wohnte.
    Der Wagen schwenkte näher an die Reihe der gemächlich
stampfenden Füße heran. Ein metallisches Klirren war zu
hören, dann wurde er hochgehievt und schwebte frei über dem
Boden wie Crozets Eisjammer, als ihn die Karawane aufnahm.
    Der Mann im Druckanzug löste mit einer zwanghaften
Beharrlichkeit, als sei jede Bewegung an sich schon ein Akt der
Buße, die Schnalle seines Helms.
    Endlich konnte er den Helm abnehmen. Er fuhr sich mit
behandschuhter Hand durch die weiße Mähne. Die Haare
stellten sich auf. Sie waren oben auf dem Kopf zu einer mathematisch
ebenen Fläche geschoren. Er sah Rachmika an. Sein langes Gesicht
mit den flachen Zügen erinnerte sie an eine Bulldogge. Nun war
sie ganz sicher, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte, aber sie
konnte ihn vorerst noch nicht einordnen.
    »Willkommen auf der Morwenna, Miss Els«, sagte
er.
    »Ich weiß weder, wer Sie sind, noch, warum ich hier
bin.«
    »Ich bin Generalmedikus Grelier«, stellte er sich vor.
»Und sie sind hier, weil wir es so wollen.«
    Sie wusste nicht, was er damit sagen wollte, aber sie sah, dass er
die Wahrheit sprach.
    »Kommen Sie mit mir«, fuhr der Mann fort. »Ich
möchte Sie jemandem vorstellen. Danach können wir uns
über Ihren Anstellungsvertrag unterhalten.«
    »Anstellungsvertrag?«
    »Sie suchen doch Arbeit?«
    Sie nickte kleinlaut. »Ja.«
    »Ich denke, wir hätten genau die richtige
Beschäftigung für Sie.«

 
Dreiunddreißig
Unweit von Ararat

2675
     
     
    Scorpio hatte gehofft, sich nun etwas ausruhen zu können.
Aber die Tage unmittelbar nach Antoinettes Abreise waren nicht
weniger anstrengend als die Zeit davor. Er schlief kaum, sah Shuttles
und Schlepper an- und ablegen und überwachte die Abfertigung neu
eintreffender Flüchtlinge und das Kommen und Gehen von
Remontoires technischem Personal.
    Er fühlte sich überfordert und fürchtete stets, im
nächsten Atemzug aufgeben zu müssen. Dennoch machte er
weiter. Antoinettes Zuspruch und seine eigene sture Entschlossenheit,
in Gegenwart der Menschen nicht die leiseste Schwäche zu zeigen,
hielten ihn aufrecht. Mit der Zeit wurde es schwierig. Er gewann mehr
und mehr den Eindruck, sie verfügten über eine Energie, die
ihm fehlte; sie wären der Erschöpfung, dem völligen
Zusammenbruch niemals so nahe wie er. In jüngeren Jahren war das
anders gewesen. Damals hatte er die Kraft einer Lokomotive an den Tag
gelegt, nicht aufzuhalten, nicht nur stärker als die Menschen,
die zu seinem Gefolge gehörten, sondern auch stärker als
viele von den Hyperschweinen. Er war so töricht gewesen, sich
einzubilden, dies würde sein Leben lang so bleiben, er
könnte diesen Vorsprung immer halten. Wann die Menschen mit ihm
gleichgezogen hatten, war ihm nicht aufgefallen; es mochte Monate
oder gar Jahre her sein, aber jetzt war er ganz sicher, dass sie ihn
überholt hatten. Kurzfristig konnte er immer noch jene
ungezügelte Wildheit mobilisieren, die ihnen abging, aber was
nützte ihm jetzt die spontane Brutalität des
Schlägers? Hier waren zähes Durchhalten,

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