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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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seinem
Krückstock gegen Wände und Fußboden, um seine
Ungeduld zu betonen. »Wir dürfen keine Zeit verlieren, Miss
Els«, sagte er immer wieder. Oder: »Wir sollten uns ein
klein bisschen beeilen.«
    »Wenn Sie mir sagen könnten, was das alles soll,
wäre es einfacher für mich«, erklärte sie.
    »Keineswegs«, antwortete er. »Inwiefern? Es
genügt doch, dass Sie hier sind und dass wir ein Ziel
haben.«
    Vermutlich hatte er Recht, auch wenn sie nicht sehr glücklich
darüber war.
    »Was ist mit der Eiserne Katharina passiert?«,
fragte Rachmika. Sie wollte nicht so leicht aufgeben.
    »Soviel ich weiß, gar nichts. Eine kleine Änderung
in der Personalplanung. Nicht weiter von Bedeutung. Sie bleiben
schließlich im Dienst der Ersten Adventistenkirche. Wir haben
Sie nur an eine andere Kathedrale versetzt.« Er tippte sich an
die Nase, als wollte er ihr ein Geheimnis anvertrauen. »Für
Sie ein ganz beachtlicher Aufstieg. Sie ahnen ja nicht, wie schwierig
es heutzutage ist, auf die Mor zu kommen. Alle wollen für
die geschichtsträchtigste Kathedrale des Weges arbeiten.«
    »Ich habe den Eindruck, dass ihre Popularität in letzter
Zeit ein wenig gelitten hat«, sagte sie.
    Grelier sah sie an. »Was wollen Sie damit sagen, Miss
Els?«
    »Der Dekan will die Kathedrale über die Brücke
fahren. Jedenfalls macht dieses Gerücht die Runde.«
    »Und wenn es so wäre?«
    »Würde es mich nicht wundern, wenn Ihre Leute versuchen
würden, sich zu verdrücken. Wie weit sind wir noch von der
Brücke entfernt, Generalmedikus?«
    »Navigation ist nicht gerade meine Stärke.«
    »Sie wissen ganz genau, wie weit es noch ist«, sagte
sie.
    Er lächelte nur, doch dieses Lächeln gefiel ihr ganz und
gar nicht. Es hatte etwas allzu Raubtierhaftes. »Sie sind gut,
Miss Els. So gut, wie ich mir erhofft hatte.«
    »Gut, Generalmedikus?«
    »Die Sache mit der Lüge. Die Fähigkeit, in
Gesichtern zu lesen. Das ist Ihr Betriebskapital, nicht wahr? Ihr
ganz spezieller Zaubertrick?«
    Sie blieben vor einer Holztür stehen. Rachmika nahm an, dass
sie in den Glockenturm führte. Der Generalmedikus zog
einen Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn daneben in ein
Schloss und trat mit ihr in einen Fahrstuhl, der wohl nicht für
die Öffentlichkeit bestimmt war. Die Wände bestanden aus
Eisengittern. Er drückte eine Reihe von Messingknöpfen, der
Korb setzte sich in Bewegung und fuhr nach oben. Hinter den Gittern
glitten die Wände vorüber. Nach einer Weile wurden die
Wände von Buntglas abgelöst, und das Licht in der Kabine
wechselte mehrmals die Farbe: Aus Grün wurde Rot, und das Rot
ging über in ein Kobaltblau, in dem das dichte weiße Haar
der Generalmedikus flimmerte, als stünde es unter Strom.
    »Ich weiß immer noch nicht, was ich hier soll«,
beharrte Rachmika.
    »Haben Sie Angst?«
    »Ein wenig.«
    »Dazu besteht kein Anlass.« Sie sah, dass er die
Wahrheit sprach oder jedenfalls selbst davon überzeugt war. Das
beruhigte sie ein wenig. »Wir werden Sie anständig
behandeln«, fügte er hinzu. »Sie sind sehr wertvoll,
man muss gut auf Sie Acht geben.«
    »Und wenn ich beschließe, dass ich nicht hier bleiben
will?«
    Er wandte sich ab und schaute zum Fenster. Sein Profil wurde
angestrahlt wie von der Glut eines erlöschenden Feuers.
    Etwas an ihm – sein muskulöser, kompakter Körper,
das Bulldoggengesicht – erinnerte sie an die Zirkusartisten, die
sie im Ödland gesehen hatte. In Wirklichkeit waren es
arbeitslose Bergleute, die von Dorf zu Dorf zogen, um ihr Einkommen
aufzubessern. Er hätte ein Feuerschlucker oder ein Akrobat sein
können.
    »Dann können Sie gehen«, sagte er und sah sie
wieder an. »Es wäre sinnlos, Sie ohne Ihre Einwilligung
hier festzuhalten. Ob Sie uns nützlich sind, hängt
ausschließlich von Ihrem guten Willen ab.«
    Vielleicht täuschte sie sich, aber sie glaubte auch jetzt
nicht, dass er log.
    »Ich verstehe immer noch nicht…«, sagte sie.
    »Ich habe meine Hausaufgaben gemacht«, erklärte er.
»Sie sind eine rara avis, Miss Els. Sie haben eine Gabe,
über die nicht einmal einer unter tausenden verfügt. Und
Sie besitzen diese Gabe in einem bemerkenswert hohen Maß. Sie
sind die große Ausnahme. Ich bezweifle, ob es auf ganz Hela
jemanden wie Sie ein zweites Mal gibt.«
    »Ich sehe nur, wenn jemand lügt«, sagte sie.
    »Sie sehen mehr als das. Sehen Sie mich jetzt an.« Er
lächelte wieder. »Lächle ich, weil ich wirklich
fröhlich bin, Miss Els?«
    Es war das gleiche Raubtierlächeln wie

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