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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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profitieren.«
    Sie stand auf und drückte das Kästchen an sich. Das
hörte sich an, als wäre die Audienz beendet. »Darf ich
noch etwas fragen?«, stammelte sie.
    »Ich habe Ihnen so viele Fragen gestellt. Warum also nicht
auch umgekehrt?«
    Sie zögerte. Während sie ihre Bitte aussprach, hatte sie
noch vorgehabt, sich nach Harbin zu erkundigen. Der Dekan musste
wissen, was mit ihm geschehen war: Selbst wenn er ihren Bruder nie zu
Gesicht bekommen hätte, könnte er ohne großen Aufwand
aus den Archiven der Kathedrale die Wahrheit ans Licht fördern.
Doch als es jetzt so weit war und der Dekan ihr die Frage gestattet
hatte, brachte sie nicht die Kraft auf, sie zu stellen. Nicht weil
sie Angst vor der Antwort hatte. Sie ahnte bereits, wie die Wahrheit
aussehen musste. Was sie fürchtete, war ihre eigene Reaktion,
wenn sie ihr offenbart würde. Wenn sich nun herausstellte, dass
Harbin ihr doch nicht so wichtig war, wie sie beteuert hatte? Wenn
alles, was der Dekan sagte, richtig wäre und sie Harbin nur zum
Vorwand für ihr eigentliches Anliegen genommen hätte?
Könnte sie das ertragen?
    Rachmika schluckte. Sie fühlte sich sehr jung und sehr
allein. »Ich wollte fragen, ob Sie jemals von den Schatten
gehört haben«, sagte sie.
    Aber der Dekan antwortete nicht. Und sie begriff, dass er ihr
keine Antwort versprochen hatte.

 
Im interstellaren Raum

2675
     
     
    Drei Tage später war das Unterdrückerrudel so nahe
gekommen, dass es sich in Reichweite des Geschützes befand. Die
Techniker hätten gern noch länger kalibriert und weitere
Parameterräume ausgelotet. Hin und wieder verhielt sich die
Waffe immer noch erschreckend unberechenbar und biss ein Stück
aus der näheren Umgebung heraus, obwohl sie eigentlich auf ein
Ziel in mehreren AE Entfernung gerichtet war. Manchmal, und das war
besonders beängstigend, bestand nur ein sehr loser Zusammenhang
zwischen Eingaben und Resultat. Immerhin war die Waffe schwach
akausal: Sie unterlief die Gesetze von Zeit und Raum nach verwirrend
komplexen und ständig wechselnden Regeln. Kein Wunder, dass die
Wölfe nichts Vergleichbares in ihrem Arsenal hatten. Vielleicht
waren sie zu der Ansicht gelangt, dass solche Technologien letztlich
mehr schadeten als nützten. Wahrscheinlich ließ sich diese
Logik auch auf Skades überlichtschnellen Raumschiffantrieb
anwenden. Im Universum waren sehr viele Dinge möglich, weit
mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Aber viele
waren weder für das Individuum, noch für Spezies oder
galaktische Zivilisationen wünschenswert.
    Immer noch wurde das Licht gelegentlich schwächer, das
Geschütz feuerte weiter, und Scorpios persönliches Weltbild
blieb unangetastet. Das Geschütz mochte die Grundlagen der
Realität aufs Äußerste grotesk misshandeln, aber ihm
ging es darum, was es mit den Wölfen anstellte. Und es riss
langsam, aber sicher immer wieder Stücke aus dem
Verfolgerschwarm.
    Es war kein Sieg. Aber sie überlebten. Und das war vorerst
genug.
     
    Aura lag, wie üblich in die silberne Steppdecke gehüllt,
auf dem Schoß ihrer Mutter. Scorpio fand sie immer noch
erschreckend klein, ein Püppchen, das eigentlich in eine Vitrine
gehörte, anstatt den Wirren und Gefahren der Außenwelt
ausgesetzt zu werden. Andererseits vermittelte sie einen Eindruck von
stiller Unverwundbarkeit, bei dem sich ihm die Nackenhaare
sträubten. Er registrierte es erst, seit ihre Augen, wach und
scharf wie die eines Raubvogels, vollends offen waren. Sie waren von
einem tiefen Goldbraun mit goldenen und stahlblauen Einsprengseln,
und ihnen entging nichts, was sich ringsum abspielte. Sie schauten
nicht einfach in die Runde. Sie sondierten, sie bohrten. Sie überwachten.
    Scorpio hatte sich mit den anderen Ältesten wie üblich
im Konferenzraum getroffen. Alle saßen um den spiegelblanken
schwarzen Tisch. Scorpio musterte die Anwesenden und sortierte sie im
Geiste nach Verbündeten, Gegnern und einer dritten Gruppe, die
sich wahrscheinlich noch nicht entschieden hatte. Auf Antoinette
hätte er zählen können, aber sie war nach Ararat
zurückgekehrt. Auch Blood hätte sich seiner Meinung
angeschlossen, nicht unbedingt deshalb, weil er die Folgen
gründlich erwogen hätte, sondern weil man Fantasie
brauchte, um an einen Treuebruch auch nur zu denken, und Fantasie war
noch nie Bloods Stärke gewesen. Scorpio vermisste ihn schon
jetzt. Er musste sich immer wieder daran erinnern, dass sein alter
Stellvertreter nicht tot, sondern nur unerreichbar

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