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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Schorf,
unregelmäßige Hartschalenteile flogen davon, als
hätten sie auf Sprungfedern gesessen, und landeten klappernd
kreuz und quer übereinander zu ihren Füßen. Unter den
Anzügen trugen sie, wie Scorpio bereits auf den Scans gesehen
hatte, nur dünne Overalls.
    Er wusste noch immer nicht, was er übersehen hatte. Noch
immer waren keine Waffen zum Vorschein gekommen: weder Pistolen noch
Messer.
    »Bruder«, sagte er, »Sie sollten sich das sehr
gründlich überlegen.«
    »Das habe ich bereits getan«, antwortete Seyfarth. Er
und die anderen Delegierten knieten nieder und durchwühlten
– ohne ihre Handschuhe abzulegen – rasch und gezielt den
Haufen abgeworfener Rüstungsteile.
    Als Seyfarth die Faust hob, hielt er einen scharfkantigen,
aerodynamisch geformten Gegenstand zwischen den Fingern – eine
Anzugscherbe, gefährlich scharf, mit gekrümmter Schneide.
Seyfarth ging auf ein Knie und machte eine kurze Bewegung aus dem
Handgelenk. Das Projektil flog, um seine Längsachse rotierend,
auf Scorpio zu. Er hörte es kommen: chop, chop, chop sauste es durch die Luft. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil,
aber der dehnte sich subjektiv zu einer Ewigkeit. Ein Stimmchen
klagte – ohne jeden Vorwurf –, es seien immer nur die
Anzüge gewesen. Er sei so davon besessen gewesen, durch sie
hindurchzuschauen, so überzeugt, dass sich darunter etwas
verbergen müsse, dass ihm die Anzüge selbst entgangen
seien.
    Die Anzüge waren die Waffen.
    Das Geschoss traf seine Schulter, er wurde brutal gegen die
glatten Rippen der Korridorwand geschleudert. Der Wurfspeer
durchdrang Leder und Fleisch und nagelte ihn fest. Er schlug unter
Schmerzen um sich, aber die Scherbe steckte tief in der Wand.
    Seyfarth stand auf. Nun hielt er in jeder Hand eine Klinge. Die
Bruchstücke waren nicht zufällig entstanden: Dafür
waren die Linien zu glatt, zu funktionell. Die Rüstungen hatten
Sollbruchstellen, die auf ein Ängström genau eingeätzt
worden waren.
    »Ich hatte leider keine andere Wahl«, sagte er.
    »Sie sind ein toter Mann.«
    »Und du wärst ein totes Schwein, wenn ich dich
töten wollte.« Scorpio wusste, dass Seyfarth die Wahrheit
sprach: Die Lässigkeit, mit der er die Waffe geworfen hatte, war
das Ergebnis langer Übung. Ebenso mühelos hätte er
Scorpio den Kopf abtrennen können. »Aber ich habe dich
verschont. Und ich werde auch deine Besatzung verschonen, wenn sie
mit uns kooperiert.«
    »Wir werden nicht kooperieren. Und Sie werden mit Ihren
Messern nicht weit kommen, auch wenn Sie sich für sehr schlau
halten.«
    »Es sind nicht nur Messer«, sagte Seyfarth.
    Hinter ihm hatten sich zwei andere Delegierte erhoben. Sie hielten
ein Gerät zwischen sich, das aus Teilen ihrer Lufttanks
zusammengebaut war. Der eine richtete einen offenen Schlauch auf
Scorpio.
    »Zeigt es ihm«, sagte Seyfarth, »damit er sieht,
was ihm bevorsteht.«
    Aus dem Schlauchende fuhr brüllend ein fünf bis sechs
Meter langer Feuerstrahl. Die Flammenzunge strich wie eine Sichel
über die Korridorwand und ließ auf der Oberfläche
Blasen entstehen. Wieder ächzte das Schiff. Die Flammen
erloschen, nur Gas entwich noch mit leisem Zischen aus der
Düse.
    »Das kommt etwas überraschend«, sagte Scorpio.
    »Tut, was man euch sagt, und niemandem geschieht etwas«,
sagte Seyfarth. Die Delegierten hinter ihm sahen sich um: Auch sie
hatten das Ächzen gehört. Vielleicht dachten sie, wenn das
Schiff nach einer Triebwerkszündung wieder zur Ruhe komme,
knarre es wie ein altes Haus nach Sonnenuntergang.
    Die Zeit dehnte sich. Scorpio war seltsam ruhig. Vielleicht,
dachte er, wurde man so, wenn man alt wurde. »Sie wollen mir
mein Schiff abnehmen?«, fragte er.
    »Nicht abnehmen«, versicherte ihm Seyfarth mit
Nachdruck. »Nur für eine Weile ausborgen. Wenn wir damit
fertig sind, bekommt ihr es zurück.«
    »Ich fürchte, Sie haben sich das falsche Schiff
ausgesucht«, sagte Scorpio.
    »Ganz im Gegenteil«, widersprach Seyfarth. »Ich
denke, es ist genau richtig. Du bist jetzt ein braves Schwein und
bleibst schön hier, dann trennen wir uns in aller
Freundschaft.«
    »Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft, Sie könnten mit
nur zwanzig Mann mein ganzes Schiff einnehmen?«
    »Nein«, sagte Seyfarth. »So dumm bin ich nun
tatsächlich nicht.«
    Scorpio suchte sich frei zu machen. Er konnte den Arm nicht weit
genug bewegen, um den Kommunikator zum Mund zu heben. Er hing an der
Wand fest, und bei jeder Bewegung war es, als würden in seiner
Schulter

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