Offenbarung
mehrere Gänge
zusammen. Plötzlich waren sie wieder in einem Teil des Schiffes,
den Scorpio kannte – durch diesen Korridor hatte er vor einiger
Zeit die Adventisten geführt. Aus den Wandleuchten sickerte
mattes sepiabraunes Licht.
»Da liegen Leichen, Scorp. Das sieht nicht gut aus.«
Der Anzug watete weiter durch die grausigen Absonderungen. Die
Leichen ragten nur als schemenhafte Hügel aus dem Schleim. Der
Anzug schaltete seine Helmlampe ein und ließ den Strahl
über die Erhebungen gleiten. Verwilderte Pförtnerratten
huschten davon.
»Das sind keine Adventisten«, bemerkte Scorpio.
Der Anzug kniete neben dem ersten Leichnam nieder. »Erkennst
du sie?«
Scorpio hockte sich auf die Fersen und schnitt eine Grimasse, als
ihm der Schmerz von zwei Seiten wie ein Messer durch die Brust fuhr.
Er packte den Leichnam, der direkt vor dem Captain lag, und drehte
ihn um, damit er das Gesicht sehen konnte. Dabei spürte er das
raue Leder einer Augenklappe.
»Das ist Orca Cruz«, sagte er.
Seine Stimme klang unbeteiligt und sachlich. Sie ist tot, dachte er. Eine Frau, die dir über mehr als dreißig
Jahre deines Lebens die Treue gehalten hat, ist tot. Sie hat dir
geholfen, dich beschützt, für dich gekämpft und dich
mit ihren Geschichten zum Lachen gebracht. Jetzt ist sie tot, weil du
einen Fehler gemacht hast, weil du zu dumm warst, um die Pläne
der Adventisten zu durchschauen. Und du empfindest nur, dass etwas
zertreten wurde, was dir gehört.
Er hörte Kolben und Servomechanismen zischen. Der Captain
legte ihm sanft seinen Riesenhandschuh auf den Rücken.
»Schon gut, Scorp. Ich weiß, was du fühlst.«
»Ich fühle gar nichts.«
»Das meine ich. Es ist noch zu früh. Es kam zu
plötzlich.«
Scorpio wandte sich den anderen Leichen zu. Alles Angehörige
des Sicherheitsdienstes. Sie hatten keine Waffen mehr, aber man sah
keine äußeren Verletzungen. Den Ausdruck auf Cruz’
Gesicht würde er allerdings so schnell nicht vergessen.
»Sie war gut«, sagte er. »Sie hielt zu mir, auch
als sie sich in Chasm City ihr eigenes kleines Reich hätte
aufbauen können. Diesen Tod hat sie nicht verdient. Keiner von
ihnen hat das verdient.«
Mühsam richtete er sich zu voller Größe auf. Er
musste sich an der Wand abstützen. Zuerst hatte er auf dem Flug
nach Resurgam Lasher verloren. Dann hatte er für immer von Blood
Abschied genommen. Jetzt hatte ihn Cruz verlassen: das letzte
kostbare Glied, das ihn noch mit jenem schon halb vergessenen Leben
in Chasm City verbunden hatte.
»Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Captain«,
sagte er. »Aber ich nehme das allmählich
persönlich.«
»Das tue ich schon länger«, sagte der leere
Raumanzug.
Im Innern der Sehnsucht nach Unendlichkeit tobten die
Kämpfe weiter. Doch langsam wendete sich das Glück. Die
adventistischen Piraten gerieten ins Hintertreffen. Draußen
hatten sich die letzten Verbände der Kathedralengarde ins Innere
des Schiffes vorgearbeitet oder wurden von den automatischen
Rumpfgeschützen abgeschossen. Die Schäden waren
beträchtlich: Neue Risse und Krater verunstalteten die ohnehin
schon zerklüftete Rumpflandschaft. Viele der winzigen Schiffe
hatten den Rumpf mit Widerhaken, Epoxidpolstern, Raketengreifern und
Bohrgeräten attackiert und sich darin festgekrallt wie
künstliche Zecken im Fleisch einer Riesenbestie. Aber auch
zerschossene Wracks steckten in den Ritzen und Falten der Sehnsucht nach Unendlichkeit fest. Wolken von Luft und
Flüssigkeit entwichen ins All. Einige der Angreifer waren
zerrissen worden, bevor sie dem Lichtschiff zu nahe kamen, nun
folgten ihre heißen Trümmer dem Koloss auf seinem Orbit um
Hela. Weitere Verstärkungstruppen waren nicht gestartet: Da
schon die erste Angriffswelle überwältigend sein sollte,
hatte man bis auf eine Hand voll Einheiten die gesamte
Kathedralengarde dafür mobilisiert.
Die wenigen Schiffe, die immer noch Enterversuche unternahmen,
mussten inzwischen gemerkt haben, dass es um ihre Chancen nicht zum
Besten stand. Der Widerstand war unerwartet stark: Zum ersten Mal
hatte eine Ultra-Gruppe ihre Verteidigungskraft heruntergespielt.
Aber die Soldaten der Kathedralengarde waren dem Adventistenorden
treu ergeben. Ihr Blut war gesättigt mit Quaiches Lehren, ein
Rückzug war für sie im wahren Sinne des Wortes undenkbar.
Sie brauchten den Zweck ihrer Mission nicht zu kennen, es
genügte, dass sie für den Dekan von größter
Bedeutung war.
Sie waren so sehr damit beschäftigt, einen sicheren Weg
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