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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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die so voller Entsetzen ins Leere
starrten. Mit der anderen Hand beschattete er die zuckenden Iriden
und beobachtete ihre Reaktionen.
    »Sie sind nicht blind«, sagte er. »Jedenfalls nicht
auf beiden Augen.«
    »Der Blitz…«
    »Der Blitz hat Ihr rechtes Auge geschädigt. Das wundert
mich nicht: Sie schauten genau auf Haldora, als es passierte, und Sie
haben natürlich keinen Blinzelreflex. Aber zufällig
schwankte genau in diesem Moment die Kathedrale: Was immer diesen
Blitz auslöste, brachte auch Glaurs Maschinen aus dem Tritt.
Dadurch wurde das Licht an dem Sammler über dem Turmzimmer
vorbeigelenkt. Die volle Wirkung blieb Ihnen erspart.«
    »Ich bin blind«, wiederholte Quaiche, als hätte er
kein Wort gehört.
    »Sie können mich immer noch sehen«, sagte Quaiche
und bewegte den Finger hin und her. »Also hören Sie auf zu
flennen.«
    »Helfen Sie mir!«
    »Ich helfe Ihnen, wenn Sie mir verraten, was eben passiert
ist – und warum, zum Teufel, die Mor jetzt mit
automatischer Steuerung fährt.«
    Quaiche wurde ein wenig ruhiger. »Ich weiß wirklich
nicht, was das war. Ich hätte doch nicht hineingesehen, wenn ich
damit gerechnet hätte.«
    »Vermutlich waren es Ihre Freunde, die Ultras. Sie hatten
doch Interesse an Haldora bekundet?«
    »Angeblich wollten sie nur Instrumentenpakete
abschießen.«
    »Das war wohl nicht ganz die Wahrheit«, gab Grelier
zurück.
    »Ich habe ihnen vertraut.«
    »Sie haben mir noch nichts von dieser automatischen Steuerung
erzählt. Glaur sagt, wir können nicht anhalten.«
    »Ach, die 26-Stunden-Sicherung«, leierte Quaiche, als
läse er aus einem technischen Handbuch vor, »kommt im Falle
eines völligen Zusammenbruchs der Kathedralenregierung zum
Einsatz, um zu gewährleisten, dass die Mor selbstständig auf dem Weg weiterfährt, bis die
Ordnung wiederhergestellt ist. Die manuelle Steuerung des Reaktors
und der Antriebssysteme wird mit hermetisch versiegelten, gegen alle
Eingriffe geschützten Zeitschaltungen gesperrt. Zielsuchkameras
beobachten den Weg; Gyroskope verhindern ein Abdriften, auch
wenn keinerlei visuelle Anhaltspunkte mehr vorhanden sein sollten;
obendrein schalten sich Sternenkompasse zur Himmelsnavigation zu.
Für den Fall, dass alles andere versagt, ist im Boden sogar ein
Induktionskabel verlegt, dem wir folgen können.«
    »Wann wurde die Sicherung eingeschaltet.«
    »Es war Seyfarths letzte Maßnahme vor seinem Aufbruch
zur Unendlichkeit.«
    Also vor vielen Stunden, dachte Grelier, aber weniger als
sechsundzwanzig. »Die Kathedrale könnte demnach nur noch
durch Sabotage davon abgehalten werden, über die Brücke zu
fahren?«
    »Haben Sie schon einmal versucht, einen Reaktor zu
sabotieren, Grelier? Oder eine fahrende Maschine mit einem Gewicht
von tausend Tonnen?«
    »Ich habe mir nur überlegt, wie die Chancen
stünden.«
    »Sie können davon ausgehen, Generalmedikus, dass die Morwenna über diese Brücke fährt.«
     
    Die winzige Orbitalfähre war kaum größer als die
Wiedereintrittskapsel, mit der Khouri nach Ararat gekommen war. Sie
glitt mit flüsterleisem Schub aus dem Bauch der Sehnsucht
nach Unendlichkeit. Durch die transparenten Lücken in der
Cockpit-Panzerung sah Scorpio das riesige alte Schiff wie eine
Landschaft langsam hinter sich zurückfallen. Ihm stockte der
Atem. Endlich konnte er die Veränderungen selbst
begutachten.
    Was mit der Sehnsucht nach Unendlichkeit geschah, war
wundersam und erschreckend zugleich. Während sie sich langsam
der Haltebucht näherte, schälten sich riesige
Rumpfflächen ab, Teile der biomechanischen Verkleidung und des
Strahlenschirms lösten sich wie Hautfetzen. Alles zusammen
bildete einen dichten schwarzen Kometenschweif hinter dem Schiff und
lieferte Scorpio die beste Tarnung für einen unbemerkten
Start.
    Das Hyperschwein wusste, dass hinter alledem eine bestimmte
Absicht steckte. Das Schiff löste sich nicht deshalb auf, weil
durch den schrägen Anflug auf Hela ungleiche Spannungen
entstanden, sondern weil der Captain ganze Teile seiner selbst
abwerfen wollte. Hinter der Verkleidung kamen die Eingeweide des
Schiffes in all ihrer verwirrenden Komplexität zum Vorschein.
Und auch dort – in den Tiefen der Sehnsucht nach
Unendlichkeit – waren gewaltige Umwälzungen im Gange.
Die Transformationsprozesse des Captains beschleunigten sich.
Inzwischen war keine der früheren Schiffskarten mehr zu
gebrauchen – niemand hatte die leiseste Ahnung, wie er sich in
den inneren Regionen zurechtfinden sollte. Es

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