Offenbarung
gestattete sich einen letzten Blick zurück, bevor er
das vibrierende Imperium des Maschinenraums für immer
verließ. Tiefer Stolz erfasste ihn: Die Maschinen liefen
einwandfrei, seit Seyfarth und er die beiden Schlüssel in die
Sicherungsanlage gesteckt und die Morwenna auf automatische
Steuerung umgestellt hatten. So musste sich der Direktor einer Schule
fühlen, wenn er in eine Klasse schaute und sah, dass sich die
Schüler auch in Abwesenheit eines Lehrers fleißig ihren
Studien widmeten. Mit der Zeit würden sich ohne menschliche
Aufsicht Mängel einschleichen: Am Reaktor würden Warnlampen
aufleuchten, und die Turbinen samt den dazugehörigen Mechanismen
würden sich überhitzen, wenn sie nicht rechtzeitig
geschmiert und nachgestellt wurden. Aber bis dahin würden noch
viele Stunden vergehen: Wahrscheinlich wäre die Morwenna schon lange vorher zerstört. Wie gut die Chancen der
Kathedrale standen, die Brücke heil zu überqueren,
kümmerte Glaur nicht mehr. An der Hauptnavigationskonsole wurde
angezeigt, dass das Induktionskabel ein Stück vor der Kathedrale
durchgerissen war. Die Bruchstelle konnte sich überall im
Umkreis von hundert Kilometern von der jetzigen Position der Mor befinden, aber für Glaur stand fest, dass die Brücke
zerstört worden sein musste. Von wem und wie wusste er nicht.
Höchstwahrscheinlich war der Täter eine gegnerische
Kathedrale, die dem Dekan selbst diesen einen tollkühnen Versuch
nicht gönnte, sich unsterblichen Ruhm zu erwerben. Es musste
aber ein faszinierender Anblick gewesen sein. Fast so
spektakulär wie in Kürze der Absturz der Morwenna.
Er wandte sich ab und stieg die Wendeltreppe zum nächsten
Stockwerk hinauf. Schwerfällig schleppte er sich in einem
Druckanzug für Notfälle, den er sich aus der Werkstatt
geholt hatte, von Stufe zu Stufe. Noch hatte er das Visier
hochgeklappt, aber er rechnete damit, schon bald draußen auf
Helas Oberfläche zu stehen und auf den Spuren der Kathedrale zu
Fuß zur gewohnten Route des Ewigen Weges zurückzukehren. Viele waren schon dorthin unterwegs: Wenn er
stramm marschierte, konnte er sicher früher oder später
eine der Gruppen einholen. Vielleicht konnte er sich auf dem
Garagendeck sogar ein Fahrzeug organisieren, falls sie nicht schon
alle vergeben waren.
Glaur war fast oben angekommen. Etwas stimmte nicht: Der Ausgang
war mit einem Metallgitter versperrt. Es war das Schutzgitter, das
normalerweise offen stand und nur geschlossen wurde, wenn ein
Mitglied des Glockenturms in besonderer Mission unterwegs
war.
Man hatte ihn im Maschinenraum eingeschlossen.
Glaur wich zurück. Es gab noch andere Treppen, aber er war
überzeugt, dass er auch dort auf Hindernisse stoßen
würde. Wozu sollte man einen Ausgang blockieren, wenn man die
anderen offen ließ?
Der Schichtleiter geriet in Panik. Er packte das Tor und
rüttelte daran. Es erbebte, aber er würde es nicht mit
Gewalt öffnen können. Selbst wenn er einen Schlüssel
gehabt hätte, gab es auf seiner Seite kein Schloss. Er brauchte
einen Schneidbrenner, um in die Haupträume der Morwenna zu gelangen.
Er zwang sich zur Ruhe: Noch war Zeit genug. Er konnte davon
ausgehen, dass man ihn versehentlich eingeschlossen hatte. Vielleicht
hatte derjenige gedacht, die Halle sei leer, und man sollte sie gegen
mögliche Sabotageversuche schützen, auch wenn diese wenig
Aussicht auf Erfolg hätten.
Er brauchte nur einen Schneidbrenner. Das war zum Glück kein
Problem. Nicht hier unten im Maschinenraum.
Glaur nahm sich zusammen und zwang sich, nicht wie ein
Wahnsinniger die Treppen hinabzustürmen. Im Geiste
durchwühlte er bereits die Werkstatt und suchte nach dem
Gerät, das für diese Aufgabe am besten geeignet
wäre.
Achtundvierzig
Sonderkommandos der Kathedralengarde verließen ihre neu
errichteten Garnisonen in den steilen Wänden der Haltebucht, um
die gefangene Sehnsucht nach Unendlichkeit zu stürmen.
Diesmal waren sie auf alles gefasst: Sie hatten die
Geheimdienstberichte über den ersten Angriff studiert und
konnten sich in etwa vorstellen, was sie erwartete. Sie wussten, dass
sie eine Umgebung betraten, in der sie mit Feindseligkeiten rechnen
mussten – Widerstand war nicht nur von den Ultras zu erwarten,
dieses Schiff war fähig, sie von sich aus anzugreifen, es konnte
sie zerquetschen und aufspießen, ertränken und ersticken.
Eine Erklärung wurde nicht verlangt: Dafür war die Garde
nicht zuständig. Sie hatte nur angemessen auf die Situation
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