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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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jemals
wiedersehen würden. Das Universum sei groß, hatte er
geantwortet: groß genug, um Platz für ein paar
glückliche Zufälle zu haben. Für manche Leute
vielleicht, hatte Antoinette zurückgegeben, aber nicht für
Leute wie sie selbst und Scorpio. Und sie hatte Recht gehabt. Sie
würden sich niemals wiedersehen. Scorpio hatte nur
gelächelt: Er hatte sie genau verstanden. Auch er glaubte nicht
an Wunder. Aber wo zog man die Grenze? Inzwischen war er fest davon
überzeugt, dass sie auch Unrecht gehabt hatte. Für jemanden
wie Scorpio und Antoinette gab es keine glücklichen
Zufälle. Aber für andere? Manchmal passierten solche Dinge
tatsächlich.
    Er wusste es. Er hatte die Namen aller Flüchtlinge in dem
Shuttle gesehen, das sie im Yellowstone-System geborgen hatten: Und
ein Name war ihm förmlich ins Auge gesprungen. Auch der Mann
selbst war ihm aufgefallen, als er beim Entladen des Shuttles
zugesehen hatte. Er erinnerte sich an seine ruhige Würde, an das
Bedürfnis, jemandem seine Empfindungen mitzuteilen, ohne die
Last auf ihn abzuladen. Der Flüchtling war – wie alle
anderen Passagiere – seither wohl nicht wieder aus dem
Kälteschlaf geholt worden.
    Er musste unter den achtzehntausend Schläfern sein, die um
Hela kreisten.
    »Wir müssen irgendwie an diese Leute herankommen«,
erklärte er Khouri.
    »Ich dachte, wir sprechen über…«
    »Richtig«, sagte er und beließ es dabei. Sie hatte
schon so lange gewartet; mochte sie sich noch etwas länger
gedulden.
    Wieder war es eine Weile still. Die Kathedrale sah aus, als
könnte sie weitere tausend Jahre überdauern. Doch nach
Scorpios Schätzung blieben ihr allenfalls noch fünf
Minuten.
    »Ich könnte es immer noch schaffen«, sagte Vasko.
»Wenn ich… wenn wir laufen würden, Scorp…«
Er verstummte.
    »Gehen wir«, sagte Scorpio.
    Sie sahen erst ihn und dann die Kathedrale an. Die Frontpartie war
noch gut siebzig Meter vom Ende der Brücke entfernt; in drei bis
vier Minuten würde sie ins Leere fahren. Und danach? Dauerte es
mindestens noch eine Minute, bis die gewaltige Masse der Morwenna das Übergewicht bekäme.
    »Wohin, Scorp?«, fragte Khouri.
    »Mir reicht es«, sagte er entschieden. »Es war ein
langer Tag, und wir haben noch einen langen Fußmarsch vor uns.
Je früher wir uns auf den Weg machen, desto besser.«
    »Aber die Kathedrale…«, sagte Rachmika.
    »Der Absturz wird sicher sehr eindrucksvoll. Ihr könnt
mir ja davon erzählen.«
    Er drehte sich um und ging über den Brückenstumpf
zurück. Die Sonne kam von hinten, und er warf einen langen
Schatten. Es sah sehr komisch aus, wie dieser Schatten vor ihm her
watschelte und wie eine schlecht geführte Marionette von einer
Seite zur anderen schwankte. Er fror jetzt noch mehr: Es war eine
besondere Kälte, sie war ihm so vertraut, als trüge sie
seinen Namen. Vielleicht ist es so weit, dachte er. Vielleicht war
dies das Ende, vor dem man ihn immer gewarnt hatte. Er war nur ein
Schwein; er durfte nicht zu viel erwarten. Er hatte in dieser Welt
schon mehr Spuren hinterlassen als mancher andere.
    Er ging schneller. Bald ragten neben seinem Schatten drei weitere
auf. Gesprochen wurde nicht. Sie gingen nur miteinander. Jeder
wusste, wie schwierig die Reise war, die sie vor sich hatten. Einige
Minuten später erbebte der Boden unter ihren Füßen
– als hätte eine mächtige Faust wütend auf Hela
eingeschlagen –, aber keiner stockte, keiner blieb stehen. Sie
gingen einfach weiter. Und als der kleinste Schatten
schließlich stolperte, eilten die anderen auf ihn zu und fingen
ihn auf.
    Was dann geschah, wusste er nicht mehr.

 
Epilog

     
     
    Wieder erteilt sie einen Befehl. Die künstlichen
Schmetterlinge lösen sich voneinander, der Sichtschirm
zerfällt. Die Tiere verschmelzen mit dem Spitzengewebe ihres
Ärmels. Als sie aufs Neue zum Himmel aufschaut, sieht sie nur
noch eine Hand voll Sterne: nur diejenigen, die hell genug sind, um
das Mondlicht und den glitzernden Strom des Rings zu
überstrahlen. Der grüne Stern, den die Schmetterlinge eben
noch sichtbar machten, ist verschwunden. Aber sie weiß, dass er
noch da ist, auch wenn sein Licht nicht bis zu ihr dringt. Wenn man
ihn einmal gesehen hat, kann man ihn nicht mehr vergessen.
    Mit dem Stern selbst ist soweit alles in Ordnung. Seine
Fusionsprozesse sind nicht aus dem Gleichgewicht geraten; seine
Atmosphärenchemie ist nicht gestört. Er strahlt so hell wie
vor hundert Jahren, und der Neutrinostrom aus seinem Kern zeugt

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