Offenbarung
wollte ihr das Visier herunterklappen. Rachmika setzte
zum Protest an und versuchte sich zu wehren, aber sie war zu schwach.
Doch während sie noch zappelte, kam hinter dem Gardisten mit dem
Gewehr etwas aus den Schatten gestolpert.
Aus dem Augenwinkel sah sie eine Klinge aufblitzen. Der Gardist
röchelte kurz und ließ sein Gewehr fallen.
Der Zweite reagierte schnell. Er sprang zurück und wollte
seine Waffe in Anschlag bringen. Rachmika trat nach ihm und erwischte
ihn mit dem Stiefel am Knie. Er prallte mit dem Rücken gegen das
Mauerwerk, tastete aber weiterhin nach dem Gewehr. Dann hatte ihn das
Schwein im Raumanzug erreicht, stieß ihm das silbrige Messer in
den Unterleib und zog es mit einer geschmeidigen Bewegung nach oben
bis zum Brustbein durch.
Scorpio schaltete das Piezomesser aus und steckte es in die
Scheide zurück. Dann schob er Rachmika mit sanftem Druck in den
Schatten und kauerte sich neben ihr nieder.
Sie schob das Visier wieder hoch und hörte erstaunt ihre
eigenen rasselnden Atemzüge.
»Danke, Scorp.«
»Du weißt noch, wer ich bin? Nach so langer
Zeit?«
»Du hast dich eingeprägt«, keuchte sie und griff
nach seiner Hand. »Danke, dass du gekommen bist.«
»Ich musste doch mal vorbeischauen.«
Sie wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte. »Scorp –
das mit der Brücke, warst du das?«
»Meine Handschrift, wie?« Er schob seinerseits das
Visier hoch und lächelte. »Ja. Ich wusste nicht, wie ich
die Leute hier sonst dazu bringen sollte, das Ding
anzuhalten?«
»Ich verstehe«, sagte sie. »Die Idee war nicht
schlecht. Nur schade um die Brücke. Aber…«
»Aber?«
»Die Kathedrale kann nicht anhalten, Scorp. Sie wird in die
Schlucht stürzen.«
Das schien sein Weltbild nicht allzu sehr zu erschüttern.
»Dann sollten wir möglichst schnell von hier verschwinden.
Wo sind die anderen?«
»Oben im Glockenturm, im Zimmer des Dekans. Sie werden
bewacht.«
»Wir holen sie schon raus«, sagte er. »Verlass dich
auf mich.«
»Und was ist mit dem Panzer, Scorpio? Seinetwegen haben wir
schließlich den weiten Weg zurückgelegt.«
»Ja. Darüber müssen wir uns unterhalten«,
erklärte er.
Fünfzig
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl zum Turmzimmer hinauf. Die Sonne
schien durch die Fenster und warf bunte Flecken auf ihre
Gesichter.
Scorpio griff in die Tasche seines Raumanzugs. »Das hat mir
Remontoire gegeben«, sagte er.
Rachmika nahm das Muschelstück und begutachtete es mit dem
kritischen Blick eines Menschen, der lange zwischen Fossilien und
Knochen gelebt hatte und wusste, dass der kleinste Kratzer Bände
von Informationen enthielt – wahren und falschen.
»Ich kann damit nichts anfangen«, sagte sie.
Scorpio berichtete, was er von Remontoire erfahren hatte, und
verschwieg auch nicht, was der Synthetiker an Vermutungen und
Spekulationen geäußert hatte.
»Wir sind nicht allein«, sagte er. »Da
draußen ist noch jemand. Jemand, für den wir nicht einmal
einen Namen haben. Von dem wir nur durch die Trümmer wissen, die
er zurücklässt.«
»Das hier hat er auf Ararat zurückgelassen?«
»Und im Orbit um den Planeten«, erwiderte Scorpio.
»Und bestimmt auch anderswo. Wer immer es ist, er muss schon
sehr lange da draußen sein. Er verhält sich unglaublich
geschickt, Aura.« Er verwendete bewusst ihren richtigen Namen.
»Wie hätte er sonst so lange neben den Unterdrückern
bestehen können?«
»Ich verstehe nicht, was wir mit diesen Aliens zu tun
haben.«
»Vielleicht gar nichts«, sagte Scorpio. »Oder sehr
viel. Es hängt davon ab, was mit den Flitzern geschehen ist. Und
hier, denke ich, kommst du ins Spiel.«
»Was mit den Flitzern geschehen ist, weiß doch
jeder«, sagte sie tonlos.
»Nämlich?«
»Sie wurden von den Unterdrückern ausgerottet.«
Er beobachtete das Spiel der Farben auf ihrem Gesicht. Sie stand
da wie eine ominöse Lichtgestalt, ein Racheengel in einer
illuminierten Ketzerbibel. »Und was glaubst du?«
»Ich glaube nicht, dass die Unterdrücker etwas mit der
Ausrottung der Flitzer zu tun hatten. Das war schon immer meine
Meinung: jedenfalls seit ich anfing, mich damit zu beschäftigen.
Für mich sah es nicht nach einer
Unterdrücker-Säuberung aus. Dafür war noch zu viel
übrig. Versteh mich nicht falsch. Man hatte gründlich
gearbeitet, aber nicht gründlich genug.« Sie hielt inne und
senkte verlegen den Kopf. »Um nichts anderes ging es in dem
Buch, an dem ich arbeitete, solange ich im Ödland war. Ich
wollte eine Theorie entwickeln
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