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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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seines Freundes zu schonen. Warum konnte er, Scorpio,
Clavains Andenken nicht dadurch ehren, dass er seinen Hass
überwand? Er war eben zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Es war nicht die Schuld des Hyperschweins. Es war auch nicht Clavains
Schuld. Und ganz sicherlich war es nicht Auras Schuld gewesen.
    »Scorp?«, fragte Rachmika.
    »Ich bin froh, dass du in Sicherheit bist«, sagte
er.
    Khouri legte ihm den Arm um die Schultern. »Ich bin froh,
dass auch du es geschafft hast, Scorp. Ich danke dir, dass du
gekommen bist. Wir alle sind dir sehr dankbar.«
    »Ein Schwein muss eben tun…«, sagte er.
    Dann sahen sie schweigend zu, wie der Abstand zwischen der Morwenna und dem Rand der Brücke immer kleiner wurde.
Mehr als hundert Jahre lang war die Kathedrale unermüdlich in
Bewegung geblieben, kein einziges Mal hatte sie im endlosen Wettlauf
mit Haldora den Anschluss verloren. Ein Drittel Meter pro Sekunde in
jeder Sekunde eines Tages, an jedem Tag eines Jahres. Und jetzt fuhr
sie mit der gleichen Unbeirrbarkeit in ihr Verderben.
    Rachmika brach den Bann. »Scorp«, sagte sie.
»Selbst wenn wir den Ehernen Panzer zerstören, was ist mit
der Anlage im Innern von Haldora? Sie ist noch da. Über sie
können die Schatten nach wie vor herübergelangen.«
    »Wenn wir noch ein Weltraumgeschütz
hätten…«, sagte Khouri.
    »Ein frommer Wunsch«, sagte Scorpio und stampfte mit den
Füßen. Ihm war kalt: Mit dem Anzug oder mit ihm selbst war
etwas nicht in Ordnung. »Hör zu, wir finden eine
Möglichkeit, sie zu zerstören oder zumindest unbrauchbar zu
machen. Wenn nicht, werden sie uns dabei helfen.«
    »Sie?«, fragte sie.
    »Wir sind ihnen noch nicht begegnet. Aber sie sind da
draußen, verlass dich darauf. Sie beobachten uns geduldig, und
sie lassen sich nichts entgehen.«
    »Und wenn wir uns geirrt hätten?«, fragte Khouri.
»Wenn sie nur sehen wollen, ob wir klug genug sind, den Kontakt
zu den Schatten zu suchen? Wenn das die richtige Strategie
gewesen wäre?«
    »Dann hätten wir uns einen neuen Feind auf die Liste
gesetzt«, sagte Scorpio. »He, aber selbst
wenn…«
    »Ja?«
    »Dann geht auch davon die Welt nicht unter. Glaub mir: Ich
sammle Feinde, seit ich meinen ersten Atemzug getan habe.«
    Wieder sprach lange niemand ein Wort. Die Morwenna knirschte weiter ihrem Untergang entgegen. Die beiden Feuerbahnen
aus den Triebwerken der Sehnsucht nach Unendlichkeit standen
immer noch am Himmel wie der erste, zaghafte Entwurf für ein
neues Sternbild.
    »Sie finden also«, meinte Vasko, »wir sollten
einfach tun, was wir für richtig halten, auch wenn es ihnen
nicht passt?«
    »So ungefähr. Wir könnten natürlich auch das
Richtige getan haben. Das hängt allein davon ab, was mit den
Flitzern tatsächlich geschehen ist.«
    »Sie haben jedenfalls jemanden sehr verärgert«,
sagte Khouri.
    »Das kann man wohl sagen«, erwiderte Scorpio lachend.
»Die Spezies gefällt mir. Wir hätten uns glänzend
verstanden.«
    Er konnte es nicht lassen. Da stehe ich nun, dachte er: schwer verletzt, wahrscheinlich mehr als halb tot. Ich habe an
einem einzigen Tag nicht nur mein Schiff, sondern auch einige von
meinen besten Freunden verloren. Ich habe mich soeben durch eine
Kathedrale gemordet und jeden getötet, der die Dreistigkeit
besaß, sich mir in den Weg zu stellen. Ich werde gleich
erleben, wie die – vielleicht – wichtigste Entdeckung in
der Geschichte der Menschheit zerstört wird, das Einzige, was
uns vor den Unterdrückern schützen könnte. Und ich
stehe da und lache, als hätte ich lediglich eine tolle Nacht vor
mir.
    Typisch Schwein, schloss er. Kein Augenmaß. Manchmal, gelegentlich, war dies im ganzen Universum das Einzige,
wofür er dankbar war.
    Zu viel Augenmaß konnte einem schlecht bekommen.
    »Scorp?«, sagte Khouri. »Stört es dich, wenn
ich dir eine Frage stelle, bevor wir wieder getrennt
werden?«
    »Das weiß ich noch nicht«, sagte er. »Du
kannst es ja versuchen.«
    »Warum hast du damals das Shuttle der Wilden Pallas verschont? Was hat dich gehindert, es abzuschießen, als du
die Unterdrückermaschinen gesehen hast? Wieso hast du diese
Menschen gerettet?«
    Wusste sie etwa Bescheid? Er hatte viel versäumt in den neun
Jahren, die er länger als sie im Kälteschlaf verbracht
hatte. Schon möglich, dass sie seinem Verdacht nachgegangen war
und ihn bestätigt gefunden hatte.
    Er erinnerte sich an eine Bemerkung von Antoinette Bax, kurz bevor
sie sich trennten. Sie hatte überlegt, ob sie sich

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