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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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von
normalen Druckverhältnissen, normalen Temperaturen und normaler
Nukleotidenhäufigkeit. Nur dem System, das ihn einmal umkreiste,
widerfährt Schlimmes. Seine Welten werden bis auf ihre Atome
zerlegt und zu einer Wolke von gläsernen Blasen, unzähligen
mit Luft und Wasser gefüllten Habitats neu zusammengesetzt.
Riesige Spiegel – ebenfalls aus dieser Orgie von Zerstörung
und Wiederaufbau entstanden – fangen jedes entweichende Photon
des Sonnenlichts ein und leiten es in den Habitat-Schwarm. Alles wird
verwertet, nichts wird vergeudet. Im Innern der Blasen nährt das
Sonnenlicht ein komplexes, hoch empfindliches System von
geschlossenen biochemischen Kreisläufen. In den Habitats
wachsen, umhegt von Maschinen, Pflanzen und Tiere heran.
    Auch Menschen wären willkommen: Eigentlich wurde der Schwarm
für sie angelegt.
    Aber die Menschen wurden nicht eingeladen.
    Diese grünfleckige Sonne ist nicht die erste, und sie wird
auch nicht die letzte sein. Da draußen gibt es noch Dutzende
ihrer Art. Die Transformationsmaschinen, die mit der geistlosen
Tüchtigkeit von Heuschrecken diese Habitatschwärme
schaffen, können von einem System zum nächsten springen.
Sobald sie eintreffen, replizieren sie sich und beginnen mit der
Demontage. Bisher sind alle Versuche, ihre Ausbreitung
einzudämmen, gescheitert. Sie kommen zu Millionen, dabei
genügt schon eine einzige, um den Prozess einzuleiten.
    Man nennt sie die »Blattläuse«.
    Niemand weiß, woher sie stammen oder wer sie geschaffen hat.
Man vermutet, es könnte sich um eine aus dem Ruder gelaufene
Terraformungs-Technologie handeln, die vor fast tausend Jahren
entwickelt wurde, in den Jahrhunderten, bevor die Unterdrücker
kamen. Aber sie sind sicherlich nicht nur ein Abklatsch jener
früheren Maschinen. Dafür sind sie zu schnell und zu
mächtig. Sie mussten über lange Zeit lernen, aus eigener
Kraft zu überleben, und sind dabei wild und grausam geworden.
Sie sind Opportunisten: Sie verstecken sich im Gebüsch wie
Zecken und warten ab, bis ihre Zeit kommt.
    Und jetzt, denkt sie, haben wir ihnen die Tür
geöffnet.
    Solange die Menschheit unter dem Joch der Unterdrücker
stöhnte, wäre eine solche Epidemie niemals zum Ausbruch
gekommen. Die Unterdrücker – selbst eine Form von
replizierenden, raumfahrenden Maschinen – hätten keinen
Rivalen geduldet. Aber die Unterdrücker waren nicht mehr; sie
hatten sich seit mehr als vierhundert Jahren nicht mehr blicken
lassen. Sie waren nicht geschlagen worden, nein, das konnte man so
nicht sagen. Aber man hatte sie zurückgedrängt, hatte
Grenzen gezogen und Pufferzonen eingerichtet. Vermutlich beherrschten
sie immer noch einen großen Teil der Galaxis. Aber diese Säuberung – der Versuch, die Menschheit
auszulöschen – war gescheitert.
    Ein Erfolg, der nicht auf menschlicher Tüchtigkeit beruhte,
sondern auf glücklichen Umständen – und auf
Feigheit.
    Die Unterdrücker hatten über Millionen von Jahren
insgesamt immer weiter abgebaut. Früher oder später mussten
sie einer Spezies begegnen, die sie nicht bändigen konnten. Die
Menschheit wäre diese Spezies wahrscheinlich nicht gewesen,
nicht einmal mit der Unterstützung der Hades-Matrix. Aber die
Matrix hatte ihr den Weg gewiesen. Sie hatte sie nach Hela geschickt,
und dort hatte sie die richtige Entscheidung getroffen: Sie hatte
nicht die Schatten beschworen, sondern die Nestbauer um Beistand
gebeten. Die Nestbauer hatten einst die Flitzer vernichtet, als diese
den Fehler begingen, mit den Schatten zu verhandeln.
    Und wir waren nahe daran, das Gleiche zu tun, denkt sie. Es
war so knapp gewesen, dass ihr bei dem Gedanken daran jetzt noch das
Blut in den Adern gefriert.
    Die weiße Rüstung aus Schmetterlingen schmiegt sich
fester um sie.
    »Wir sollten jetzt wirklich gehen«, ruft ihr
Beschützer vom anderen Ende der Mole.
    »Du hast mir eine Stunde versprochen.«
    »Sie ist fast abgelaufen. Du hast nur in die Sterne
geschaut.«
    Das kann nicht sein. Vielleicht übertreibt er, aber
vielleicht hat sie auch wirklich so lange gebraucht, um den
grünen Stern zu finden. Manchmal versinkt sie in ihren
Erinnerungen wie in einem Tagtraum, und dann zerfließen ihr die
Augenblicke zu Stunden und die Stunden zu Jahrzehnten. Sie ist so
alt, dass sie sich manchmal selbst unheimlich wird.
    »Hab noch ein wenig Geduld.«
    Die Nestbauer (früher nannte man sie die Muschelmacher, aber
dieser Name für die Symbionten ist längst vergessen) hatten
lange auf eine Strategie des

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