Offenbarung
Systeme der Räubertochter und zeigte ihre Position in Bezug auf den nächsten
größeren Himmelskörper. Die Diagramme wirkten
handgezeichnet und schraffiert wie astronomische oder medizinische
Illustrationen aus der Frührenaissance in schwarzer Tusche auf
sepiabraunem Pergament, beschriftet mit krakeligen lateinischen
Lettern. Im Glas des Bildschirms spiegelte sich undeutlich sein
eigenes Gesicht.
Durch den Rumpf konnte er beobachten, wie sich die Andockbucht der Dominatrix schloss. Das Shuttle wurde rasch kleiner und
zeichnete sich schließlich nur noch als schwarzer,
kreuzförmiger Kratzer vor Haldora ab. Er dachte an Morwenna, die
dort immer noch im Ehernen Panzer eingeschlossen war, und fühlte
sich noch mehr unter Erfolgsdruck. Die Brücke auf Hela war ohne
Zweifel das Seltsamste, was er auf allen seinen Reisen bisher gesehen
hatte. Wenn sie für Jasmina noch immer nicht exotisch genug war,
dann wusste er nicht mehr, wonach er noch suchen sollte. Er musste
sie ihr nur richtig verkaufen. Wenn sie ihm nicht einmal für
dieses riesige Alien-Artefakt die früheren Fehlschläge
verzieh, war er ohnehin verloren.
Als das andere Schiff nur noch auf dem Overlay zu erkennen war,
wurde Quaiche leichter ums Herz. Auf der Dominatrix war er das
Gefühl, ständig unter Königin Jasminas Aufsicht zu
stehen, nie ganz losgeworden. Es war durchaus möglich, dass die
Agenten der Königin noch andere Abhörgeräte eingebaut
hatten als die, von denen er wissen sollte. An Bord der viel
kleineren Räubertochter ruhte Jasminas Auge nicht
unmittelbar auf ihm. Die kleine Fähre war sein persönliches
Eigentum, der einzig wirklich wertvolle Gegenstand, den er im Leben
jemals besessen hatte: Sie gehorchte nur ihm. Das hatte durchaus eine
Rolle gespielt, als er der Königin damals seine Dienste
angeboten hatte.
Die Ultras waren zwar mit allen Wassern gewaschen, aber er traute
ihnen dennoch nicht zu, alle Systeme zur Abwehr von
Überwachungsgeräten und anderen unerwünschten
Eingriffen in seine Privatsphäre zu überbrücken, die
an Bord der Tochter aktiv waren. Die Fähre war nur ein
kleines Reich, aber sie gehörte ihm, und nur darauf kam es an.
Hier konnte er in Einsamkeit schwelgen und sich mit allen Sinnen dem
Absoluten überlassen.
Anfangs hatte es ihn schier erdrückt, sich so zerbrechlich zu
fühlen, so sehr dazu bestimmt, sich zu verlieren. Doch zugleich
war die Erkenntnis auch befreiend: Wenn ein einzelnes Menschenleben
so wenig bedeutete, wenn die eigenen Handlungen kosmisch so belanglos
waren, dann war die Vorstellung eines absolut gültigen
Moralsystems ebenso unsinnig wie die Idee vom Weltenäther. Am
Unendlichen gemessen konnte ein Menschen ebenso wenig eine
folgenschwere Sünde – oder gute Tat – begehen wie eine
Ameise oder wie Staub.
Welten nahmen die Sünde kaum zur Kenntnis. Sonnen schenkten
ihr so gut wie keine Beachtung. Auf der Ebene von Sonnensystemen und
Galaxien verlor sie vollends jegliche Bedeutung. Sie glich einer
obskuren subatomaren Kraft, die in diesen Dimensionen einfach
versickerte.
Diese Erkenntnis war lange Zeit ein elementarer Bestandteil von
Quaiches persönlichem Glaubensbekenntnis gewesen, und er hatte
in gewisser Hinsicht wohl immer danach gelebt. Doch eine externe
Bestätigung seiner Philosophie hatte ihm erst die Raumfahrt
geliefert – und die Einsamkeit, die sein neuer Beruf mit sich
brachte.
Doch jetzt enthielt sein Universum etwas, das ihm wirklich wichtig
war und das durch seine Handlungen Schaden nehmen konnte. Wie hatte
er einen so fatalen Fehler begehen können?, fragte er sich.
Wieso hatte er zugelassen, dass er sich verliebte? Noch dazu in ein
so exotisches und kompliziertes Wesen wie Morwenna?
Wann war er auf diesen Irrweg geraten?
Fest umschlossen vom Rumpf der Tochter spürte er kaum
den leichten Ruck, als das Schiff seine Maximalgeschwindigkeit
erreichte. Die Dominatrix, ohnehin nur noch ein schmaler
Strich, war nun völlig verschwunden, als hätte sie niemals
existiert.
Quaiches Fähre flog auf Hela zu, Haldoras größten
Mond.
Er stellte eine Verbindung zur Gnostische Himmelfahrt her
und setzte einen Bericht ab.
»Hier spricht Quaiche. Ich hoffe, an Bord ist alles wohlauf,
Madame. Vielen Dank für den kleinen Ansporn, den Sie mir
mitzugeben geruhten. Sehr aufmerksam. Oder war das ganz allein
Greliers Idee? Jedenfalls sehr komisch. Sie können sich
vorstellen, dass auch Morwenna herzlich darüber lachen
musste.« Er wartete einen Moment. »Kommen wir zum
Geschäft.
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