Oh, diese Verwandschaft!
Großmutter gesagt? Widerwillig gab sie sich selbst die Antwort: die alte Dame hätte wahrscheinlich gelacht und gemeint: »Das schadet ihm nichts.«
Aber sie hoffte doch, daß er nicht mit einem betrunkenen Kerl zusammengesperrt war, der sich vielleicht rüpelhaft aufführte, so daß die Nacht für ihn noch scheußlicher wurde, woraus hervorgeht, daß Laura über die Zustände in einem Gefängnis völlig im dunkeln tappte. Bei dem Gedanken, wie peinlich ihm die Geschichte sein mußte, wurde sie ganz niedergeschlagen. Sie malte sich aus, wie er am nächsten Morgen vor Gericht erscheinen würde, mit seinem hübschen Gesicht unter lauter verkommenen Ganoven. Er würde so anders aussehen, eben ein junger Mann aus gutem Hause. Der Richter würde seinen Fall bestimmt mit Nachsicht behandeln. Dann sah sie zu ihrem Mann hinüber. Wie heiter der das aufgenommen hatte! Unfaßbar! Er wollte tatsächlich die Lämmerauswahl absagen! Sie bedachte nachdenklich, daß sie ihn eigentlich doch nicht richtig kannte. Aber das Bewußtsein, ihn morgen dabeizuhaben, war tröstlich, und auf einmal schlief sie ein.
Sonst konnte Derek es kaum ertragen, auch nur einen Tag von der Farm abwesend zu sein (»vertrödeln« nannte er das). Aber heute war er früh auf und schien sich entschieden auf die Expedition zu freuen. Als sie ihn noch einmal an die Lämmer erinnerte, sagte er obenhin: »Ach, ich habe Watson schon angerufen. Er war ein wenig ärgerlich, aber ich sagte, ich müßte in die Stadt und für einen deiner Verwandten bürgen, der im Kittchen säße. Das schien ihn zu erheitern.«
Laura lachte und sagte: »Es wäre mir lieber, du nähmest das nicht so leicht. Und dann hättest du ihm sagen sollen, daß Hugh wegen einer Demonstration ins Gefängnis kam und nicht wegen eines Raubüberfalls oder dergleichen.«
Zuerst fuhren sie zu Marie, um sie zu beruhigen. Ihr größter Kummer schien zu sein, daß sie Hugh nicht sein Rasierzeug hatte schicken können. »Er haßt es so, unrasiert herumzulaufen. Ich fragte gestern abend den Schutzmann, ob ich es ihm bringen dürfte, und der lachte nur ganz freundlich. Nein, ich komme nicht mit. Ich warte lieber hier, um den Jungen recht nett willkommen zu heißen.«
Wirklich, dachte Laura, sie alle beurteilen die Sache falsch: Derek mit seiner »Feier« und Marie mit ihrem »Willkommen«. Sie taten so, als wäre er ein Held. Sie nahm an, es würde ihr überlassen bleiben, Hugh den Standpunkt klarzumachen.
Das war aber nicht so. Denn als sie zu dem Gerichtsgebäude kamen, sahen sie gleich die hohe Gestalt von James Gilbert zwischen einigen Studenten, die sich vor den geschlossenen Türen drängten. Sein Charakterkopf und seine gute Erscheinung stachen vorteilhaft von den jungen Leuten ab, die auf den Einlaß warteten. Im gleichen Augenblick entdeckte Gilbert sie und kam durch die Menge auf sie zu. Sie begrüßten einander herzlich.
»Sie, Mr. Gilbert? Daß ausgerechnet Sie hier sind! Ist Anne auch da?«
»Nein. Wir fanden, daß das keine Frauensache sei. Das betrifft natürlich nicht die Kusinen.«
»Sie kommen also wegen Hugh? Woher wußten Sie es?«
»Ich habe einen Freund bei der Polizei. Nicht den unglückseligen jungen Mann, den Hugh attackiert hat, sondern einen höheren Offizier. Er hatte zufällig einen Sohn zur gleichen Zeit wie Hugh an unserer Schule. Der hat mich netterweise angerufen.«
»Und Sie haben alles stehen und liegen lassen und sind hierhergekommen?«
»Selbstverständlich. Es könnte unter Umständen Ärger mit den Behörden geben. Man spricht davon, ein Exempel statuieren zu wollen. Ich kann es ihnen nicht verübeln, wenn sie diese ewigen Demonstrationen leid sind. Natürlich wird Hugh eine saftige Geldstrafe bekommen, und ohne lange Ermahnungen wird es auch nicht abgehen. Wir möchten aber, daß sein Name nicht in der Zeitung erscheint. Es sind eine ganze Menge angeklagt; vermutlich werden sie sie nicht alle namentlich aufführen. Der Chefreporter der Abendzeitung ist außerdem einer unserer Kolleg-Väter. Ich dachte mir, ich könnte zudem mit den Universitätsbehörden sprechen. Ich nehme zwar nicht an, daß sie die Studenten relegieren werden; aber wenn sie sich zu strengen Maßnahmen entschließen, will ich mein Bestes tun.«
»Ein Segen, daß Sie da sind! Es war mir nicht klar, daß es so ernst sein könnte. Derek schien das Ganze eher für einen Scherz zu halten.« Sie wandte sich vorwurfsvoll zu ihrem unschuldig dreinblickenden Mann. »Du weißt doch, du hast
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