Ohne Chef ist auch keine Loesung
aber irgendwie machbar. Ihr
Chef ist der Ressortleiter Herr Y. Auch das ist machbar. Weniger machbar ist allerdings, dass Herr Y explizit fordert, dass
seine Mitarbeiter – und darunter eben auch Frau X – bei Dienstbeginn »vorbereitet« erscheinen. Unter »vorbereitet« versteht
er: Wenn sie die Redaktion um 6:30 Uhr betreten, sollen sich alle schon zwei, drei Themen überlegt und ausgearbeitet haben,
über die sie an diesem Tag schreiben können. Die fertigen Artikel also schon im Kopf mit zur Arbeit bringen. Das heißt konkret,
dass Frau X bereits um 4:30 Uhr aufsteht, um zu Hause im Internet die Nachrichtenlage zu prüfen, sich dann Stichworte zu Themen
und möglichen Artikeln macht, um pünktlich und »vorbereitet« um 6:30 Uhr in der Redaktion zu erscheinen. Die zusätzlichen
zwei Stunden sind selbstverständlich keine Dienstzeit, sondern reines Privatvergnügen. Nachmittags, nach der letzten Redaktionskonferenz,
darf Frau X gerne noch die eine oder andere Extrastunde dranhängen, um dann pünktlich zur
Tagesschau
ihr Treppenhaus zu betreten. Da sie laut Anordnung von oben stets auf dem Laufenden sein muss, schafft sie es – bevor sie
gegen 22:00 Uhr ins Bett fällt – gerade noch, einen Blick in die Spätnachrichten zu werfen. Auch dies: reines Privatvergnügen.
Denn für einen Journalisten sind Nachrichten ja der Lebensinhalt. So zumindest sieht es der Chef …
Was Chefs tun können
Wenn Sie, liebe Chefs, also erwarten, dass Ihre Angestellten Ihr Unternehmen zu ihrem eigenen Lebensinhalt machen, dass sie |99| kein privates Leben und keine privaten Gedanken mehr haben – dann dürfen Sie sich nicht wundern, dass es kracht. Und wenn
Sie wiederum einfach klammheimlich – und hinter dem Rücken Ihrer Leute – den unsichtbaren psychologischen Arbeitsvertrag um
den »§ ABC (Mein Leben gehört dem Chef)« erweitern, dann kann es passieren, dass Ihre Leute Sie eines Tages zu ihrem Guru
erheben. Was auf den ersten Blick sicherlich verlockend erscheinen mag. Damit verbunden sind allerdings auch, und das erschließt
sich dann auf den zweiten Blick, all die problematischen Erwartungen und Forderungen in Bezug auf Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung,
die wir gerade besprochen haben. Wenn Sie sich als Chef im gesamten Leben Ihrer Mitarbeiter breitmachen, dann dürfen Sie sich
nicht wundern, wenn die Sie auch für ihr gesamtes Lebensglück verantwortlich machen. Und wer kann und will diese Verantwortung
schon jeden Tag tragen?
Und die Moral von der Geschicht’: Ein Job ist ein Job – mehr nicht.
Damit sich Ihre Mitarbeiter die Work-Life-Balance nicht eigenmächtig auf die oben beschriebene unlautere Weise zurückholen
müssen: Tragen Sie doch einfach selbst dazu bei, dass das Verhältnis von Berufs- und Privatleben stimmt. Das gelingt am besten
über geregelte Arbeits-
und
Freizeiten. Muße ist nicht zwangsläufig gleich Müßiggang. Verheizen Sie Ihre Mitarbeiter nicht! Es gibt notwendigerweise immer
wieder Phasen, in denen sich besonders viel anhäuft und dann umso intensiver abgearbeitet werden muss. Denn – das hatten wir
ja schon – die Arbeit ist kein privater Internetspielplatz, kein Ponyhof und auch keine Beautyfarm. Aber spätestens nach solchen
Intensivphasen mit arbeitsmäßigen Höhepunkten sollten Sie Ihren Beschäftigten unbedingt die wohlverdiente Ruhepause und Auszeit
gönnen. Alles andere wäre nur sehr kurzfristig gedacht. Denn ein ausgebrannter, |100| chronisch kranker Angestellter ist eine größere Belastung als ein urlaubmachender. Der kommt bald wieder. Frisch, für die
Arbeit. Freizeit ist historisch gewachsen und bereits seit Jahrtausenden bewährt: Schon die Griechen in der Antike und auch
die Römer unterschieden zwischen Arbeit und Freizeit – selbst die Sklaven und die Unterschicht verfügten über freie Tage,
die sie beispielsweise bei den Zirkusspielen verbrachten. Vor diesem Hintergrund dürfte es Ihnen schwer fallen, zu begründen,
weshalb gerade Ihre Beschäftigten heute darauf verzichten sollen.
Was Mitarbeiter tun können
Liebe Mitarbeiter, schaffen Sie eine gesunde Distanz zur Arbeit und versuchen Sie, unrealistische Vorstellungen an das Arbeitsleben
zu korrigieren. Seien Sie fair: Ihr Chef ist nicht für Ihr gesamtes Lebensbefinden verantwortlich. Allerdings sind auch nicht
Sie mit Ihrem gesamten Leben für die Glückseligkeit Ihres Chefs verantwortlich. Setzen Sie deshalb in beide Richtungen Grenzen,
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