Ohne Chef ist auch keine Loesung
oder Kollegen in einer SMS angeflunkert zu haben. In E-Mails und am Telefon lügt es sich kaum weniger leicht: Hier gaben 75
beziehungsweise 61 Prozent an, häufig oder sehr häufig Unwahres von sich gegeben zu haben. Und leicht lässt es sich auch durch
die eigenen Mitarbeiter lügen: »Der Chef ist heute den ganzen Tag in Besprechungen …«, bekommt die Sekretärin als Antwort
aufgetragen, falls der lästige Kunde anruft und durchgestellt werden möchte.
Nun könnte man meinen, wir hätten uns ohnehin alle ans ständige Lügen und Belogenwerden gewöhnt – wo also ist das Problem?
In der Tat belegt eine Reihe von Studien, dass wir Menschen im Durchschnitt alle paar Minuten lügen, viel häufiger etwa, als
wir uns die Zähne putzen oder etwas essen. Der amerikanische Psychologe Gerald Jellison hat herausgefunden: Während eines
nur zehnminütigen Gesprächs belügen sich 60 Prozent aller Gesprächspartner bis zu dreimal! Dabei lügen 41 Prozent der Menschen,
um sich aus einer Verantwortung heraus zu reden und keinen Ärger zu bekommen. 14 Prozent wollen sich das Leben leichter machen,
8 Prozent wollen durch eine Lüge beliebter werden. Und 6 Prozent sind einfach zu faul, um die Wahrheit zu sagen.
|137| Die Wahrheit als Mikado-Stab
In dem bereits erwähnten Buch
Mein Traum-Team
beschreibt Patrick Lencioni fünf Krankheiten, an denen die meisten Teams leiden und die ihnen die Produktivität rauben – an
erster Stelle hat Lencioni die Krankheit »fehlendes Vertrauen« ausgemacht.
Für Vertrauen gibt es viele Definitionen. Der Journalist Frank Gerbert bringt deren Quintessenz im
Focus
auf den Punkt: »Im Kern handelt es sich um einen emotionalen Zustand, der es ermöglicht, an bestimmte (in der Regel positive)
künftige Handlungen von Menschen zu glauben.« Und ein solcher emotionaler Zustand, so die Analyse Lencionis, kann umso schwerer
entstehen, je mehr Angst wir davor haben, verletzt zu werden, verletzlich zu sein.
Und wie entsteht diese Angst? Eben dadurch, dass wir selbst wissen, dass wir verletzbare Menschen sind – unsere Umwelt uns
aber nicht so behandelt. Dem Team fehlt dann das Vertrauen, und ohne Vertrauen arbeitet es nicht miteinander, sondern gegeneinander,
bestenfalls nebeneinander.
Und nun, liebe Chefs, dürfen Sie dreimal raten, wie vertrauensfördernd es sich auswirkt, wenn Sie Ihre Mitarbeiter belügen.
Die meisten Lügen kommen früher oder später ans Licht – weil immer geredet wird. Weil in jedem Unternehmen sehr, sehr viel
geredet wird! Was auch immer im Unternehmen passiert, was der Chef sagt und tut, was Frau Soundso oder Herr Sonstwienoch gehört
hat – alles wird ausführlichst diskutiert: auf dem Flur, in der Kaffeeküche, in Sitzungen. Und in jedem anderen Winkel eines
jeden Unternehmens. Das ist so sicher wie der Kaffee in der Küche. Es ist naiv zu glauben, man könnte irgendein Lügengebäude
ernsthaft auf Dauer aufrechterhalten. Also, liebe Chefs: Wer einmal lügt, der glaube nicht, dass später nicht die Wahrheit
spricht!
|138| Mit einer einzigen aufgeflogenen Lüge können Sie das Vertrauen Ihrer Mitarbeiter so nachhaltig zerstören, dass Sie es nur
schwer wieder reparieren können. Und damit nicht weniger als die Produktivität Ihres Unternehmens. Gerade Lügen bei kleinen,
eher unwichtigen Dingen wiegen dabei besonders schwer. Denn jeder fragt sich: Wenn der Chef schon für Kleinigkeiten die Wahrheit
opfert – wie viel mag sie dann wert sein, wenn erst wirklich etwas auf dem Spiel steht?
Schauen wir uns die Querverbindungen ein wenig genauer an. Die Wahrheit hat eine ganz zentrale Bedeutung gleich für mehrere
der zehn Gebote in diesem Buch. Lassen Sie des Gelesene noch einmal Revue passieren und denken Sie beim Weiterlesen an die
Schlüsselfunktion eines wahrhaftigen Verhaltens:
Wo gelogen oder verschwiegen wird, soll etwas verheimlicht werden – das hatten wir schon ganz am Anfang dieses Buches, als
es um Gehalt und Gerechtigkeit ging. Die Lüge nährt den Verdacht, dass jemand ungerechte Zustände vertuschen will (siehe Erstes
Gebot).
Eine Lüge kann noch schlimmer sein als ein Schweigen, denn der Belogene wiegt sich zunächst in falscher Sicherheit. Ein lügendes
Orakel kann also noch mehr Schaden anrichten als ein schweigendes: Wenn Sie selbst falsche Informationen streuen, die sich
dann zwangsläufig mit Gerüchten, Spekulationen und früher oder später mit der Wahrheit mischen – dann brauchen Sie sich
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