Ohne Chef ist auch keine Loesung
Schlechtes gleichmäßig wahrnehmen und zur Sprache
bringen, dann kann selbst Kritik eine Form der Anerkennung sein: Sie zeigt, dass die Arbeit Beachtung findet.
|131| Siebtes Gebot Du sollst nicht die Brüder Grimm sein
Anfang Oktober, im Büro Ihres Chefs.
»Aber, aber! Mein lieber Herr Schulte, was machen Sie denn für Dummheiten!« In echter Empörung schüttelt Schnappi den Kopf,
während er über den tiefen, flauschigen Teppich auf- und ab tigert, den er erst letzte Woche mit viel Tamtam in seinem Büro
hat verlegen lassen. »Wir brauchen Sie doch hier!«
Theatralisch dreht er sich auf der rechten Ferse um, die dabei einige Zentimeter im Teppich versinkt und ihn eine gute Portion
seines Gleichgewichts kostet. Während er sich gerade noch rechtzeitig am Besprechungstisch wieder auffängt, fährt er fort:
»Und wir haben noch einiges mit Ihnen vor. Wenn Sie verstehen, was ich meine …«
»Äh … Sie meinen …«, kommt es Ihnen nicht gerade souverän über die Lippen.
»Genau, mein lieber Schulte, das meine ich!«, tönt Ihr Chef im Stakkato, während er sein Sakko wieder glattzieht. »Mensch,
nun seien Sie doch nicht so schwer von Begriff! Dieses Projekt da, Berlin und so, auf das Sie schon so lange scharf sind:
Im Januar werden wir es endlich angehen!«
Er setzt sich an seinen Schreibtisch und schaut plötzlich ernst: »Und ich habe sichere Signale aus der Geschäftsleitung, dass
Sie
unser Mann in Berlin sein werden.«
|132| Nach einer kurzen dramatischen Pause wie aus dem Rhetoriklehrbuch fügt er hinzu: »Und ich habe
noch
sicherere Signale, dass für die neue Stelle ein außerordentlich hübsches Budget bereitstehen wird. Nicht nur Ausstattung,
auch Gehalt und so, wenn Sie verstehen, was ich meine. Einige Extras kann man sich da vorstellen. Nächstes Jahr können Sie
Ihrer Frau zum Hochzeitstag mal wieder eine richtige Freude machen – wir werden ja alle nicht jünger, da kommt es auf solche
kleinen Aufmerksamkeiten langsam an, mein lieber Herr Schulte. Wenn Sie verstehen, was ich meine …«
»Natürlich, Chef, natürlich. Sie meinen also, dass ich …« wiederholen Sie sich, weil Ihnen nicht viel Besseres einfällt.
»Genau, Schulte!«, schnaubt Schnappi nun in sehr bestimmtem Ton und bereits mit Blick Richtung Tür. »Ich meine, dass Sie diesen
Quatsch da ganz schnell vergessen sollten.«
Was die Gin-Tonic-Kollegin mit Ihrer beruflichen Zukunft zu tun hat
Nachdenklich gehen Sie zurück in Ihr Büro. »Dieser Quatsch da« hatte gar nicht schlecht geklungen: »Eine Tätigkeit mit großem
Gestaltungsspielraum in einem jungen, dynamischen Team«, hatte in der Stellenanzeige der Konkurrenz gestanden, »leistungsgerecht«
sollte diese »herausfordernde Tätigkeit« bezahlt sein. Und das Wichtigste: In Berlin wäre die Stelle gewesen! Dort, wo Ihre
Familie gerne mal ein paar Jahre verbringen würde. Nachdem aus Ihrer Beförderung ja schon einmal nichts geworden war, hatten
Sie sich heimlich bei der Konkurrenz beworben, in zwei Vorstellungsgesprächen einen guten Eindruck gemacht – und tatsächlich
ein Angebot bekommen, und zwar ein erstklassiges. |133| Stolz hatten Sie das nun Ihrem Chef erzählt, wollten eigentlich kündigen – er würde das sicher verstehen, denn eine solche
Chance bekommt man nicht alle Tage. Jeder will sich weiterentwickeln, das hatte er selbst immer gesagt …
Doch dann das: Nun will man Sie offenbar in Ihrem jetzigen Unternehmen fördern, das neue Büro in Berlin aufbauen lassen. Wie
oft hatten Sie schon Interesse an dieser Position bekundet! Aber Sie wussten ja nicht, ob man Ihnen das überhaupt zutraute.
Nun also doch. Sie greifen zum Telefon – und sagen Ihr mühsam an Land gezogenes gutes Angebot bei der Konkurrenz ab.
Zwei Monate vergehen. Nichts geschieht.
Anfang Dezember sprechen Sie Ihren Chef bei einem Mitarbeitergespräch auf seine Zusage an. Bis zum neuen Jahr sei ja nicht
mehr lange hin, und Sie müssten noch den Umzug …
»Schulte, haben Sie im Jahresendgeschäft wirklich nichts anderes im Sinn, als mich mit solchen Problemen zu behelligen? Das
ganze Jahr über können Sie mit mir über so was reden und über alle anderen Sachen, die Ihnen auf dem Herzen liegen. Das wissen
Sie! Aber doch nicht gerade jetzt, wo wir alle Hände voll zu tun haben noch vor Weihnachten …«
Noch vor Weihnachten hören Sie endlich den Satz, auf den Sie gewartet haben: »Berlin wird tatsächlich im Januar eröffnet!«
Das Problem:
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