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Ohne dich kein Sommer - Roman

Ohne dich kein Sommer - Roman

Titel: Ohne dich kein Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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sein weißes Hemd war völlig zerknittert. »Hey«, sagte ich und setzte mich neben ihn.
    »Hey«, antwortete er. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn umarmen oder lieber in Ruhe lassen sollte, also drückte ich ihm nur kurz die Schulter. Er sagte nichts. Er schien wie versteinert. Ich nahm mir fest vor, ihm den ganzen Tag über nicht von der Seite zu weichen. Ich würde da sein, ein ruhender Pol, so wie meine Mutter.
    Meine Mutter, Steven und ich saßen in der vierten Reihe, hinter Conrads und Jeremiahs Cousins und Mr. Fishers Bruder und Schwägerin, die sich zu stark parfümiert hatte. Ich fand, meine Mutter hätte in die erste Reihe gehört, und das habe ich ihr auch zugeflüstert. Sie schnaubte nur leicht und meinte, darauf käme es wirklich nicht an. Vermutlich hatte sie recht. Dann zog sie ihre Kostümjacke aus und legte sie über meine nackten Oberschenkel.
    Als ich mich einmal nach hinten umsah, entdeckte ich meinen Vater. Aus irgendeinem Grund hatte ich nicht mit ihm gerechnet, dabei hatte er Susannah ja auch gekannt, sodass es eigentlich selbstverständlich war, dass er zu ihrer Beisetzung kam. Ich winkte ihm kurz zu, und er winkte zurück.
    »Dad ist hier«, flüsterte ich meiner Mutter zu.
    »Natürlich ist er hier«, gab sie zurück. Aber sie sah sich nicht um.
    Jeremiahs und Conrads Schulfreunde saßen alle zusammen weiter hinten. Sie schienen sich irgendwie fehl am Platz zu fühlen, unbehaglich. Die Jungen hielten die Köpfe gesenkt, die Mädchen flüsterten nervös miteinander.
    Die Trauerfeier zog sich lang hin. Ein Priester, den ich noch nie gesehen hatte, hielt die Ansprache. Er sagte viel Nettes über Susannah, nannte sie freundlich, mitfühlend, anmutig, was sie auch wirklich alles gewesen war, trotzdem klang es so, als hätte er sie nie kennengelernt. Ich lehnte mich zu meiner Mutter hinüber, um ihr das zu sagen, aber sie schien ganz einverstanden mit der Rede des Priesters und nickte zu allem.
    Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde nicht wieder weinen, aber dann überkam es mich doch mit aller Macht. Mr. Fisher stand auf und dankte allen Anwesenden für ihr Kommen und lud zu einem Empfang im Anschluss an die Trauerfeier zu sich nach Hause ein. Seine Stimme drohte ein paarmal zu kippen, doch schließlich brachte er seine Rede doch zu Ende. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er braun gebrannt und selbstsicher gewesen. An diesem Tag jedoch kam er mir vor wie ein Mann, der durch einen Schneesturm irrt, bleich, mit gekrümmten Schultern. Wie schwer musste es für ihn sein, da vorn zu stehen, vor so vielen Menschen, die Susannah geliebt hatten. Er hatte sie betrogen, hatte sie verlassen, als sie ihn mehr denn je brauchte. Am Schluss war er dann doch noch zurückgekommen, während der wenigen letzten Wochen hatte er ihre Hand gehalten. Vielleicht hatte auch er geglaubt, sie hätten mehr Zeit.
    Der Sarg war geschlossen. Susanah hatte meiner Mutter gesagt, sie wolle sich nicht von allen Leuten anstarren lassen, wenn sie nicht wirklich top aussah. Tote sähen irgendwie unecht aus, wie Wachsfiguren. Ich sagte mir selbst immer wieder, dass die Person im Sarg nicht Susannah war, dass es also völlig egal war, wie sie aussah, denn Susannah war schon von uns gegangen.
    Als die Trauerfeier mit einem gemeinsamen Vaterunser zu Ende gegangen war, stellten wir uns alle in einer langen Reihe auf, um der Familie unser Beileid zu bekunden. Ich kam mir seltsam erwachsen vor, wie ich so zwischen meiner Mutter und meinem Bruder dastand. Mr. Fisher beugte sich mit Tränen in den Augen zu mir herunter und umarmte mich steif. Dann schüttelte er Steven die Hand und umarmte meine Mutter. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, und er nickte.
    Als ich Jeremiah umarmte, weinten wir beide so sehr, dass wir uns gegenseitig stützen mussten. Seine Schultern bebten. Anschließend ging ich zu Conrad und umarmte ihn ebenfalls. Ich hätte gern etwas zu ihm gesagt, etwas Besseres als »Es tut mir leid«, aber es ging alles so schnell, für mehr als das war gar keine Zeit. Hinter mir standen in einer langen Schlange Leute, die alle kondolieren wollten.
    Der Weg zum Friedhof war nicht weit. Es musste am Tag zuvor geregnet haben, denn ich blieb immer wieder mit den Absätzen stecken. Bevor sie Susannah in die feuchte Erde hinabließen, legten Conrad und Jeremiah jeder eine weiße Rose auf den Sarg, und auch alle anderen legten Blumen darauf. Ich wählte eine rosa Pfingstrose. Irgendwer sang ein Lied aus dem Gesangbuch. Als

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