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Ohne dich kein Sommer - Roman

Ohne dich kein Sommer - Roman

Titel: Ohne dich kein Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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aber als ich nicht antwortete, kam er einfach herein und setzte sich zu mir ans Bett.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er so sanft, dass mir gleich wieder die Tränen übers Gesicht liefen. Niemand sollte nett zu mir sein. Ich hatte es nicht verdient.
    Ich drehte mich auf die andere Seite, sodass ich ihm den Rücken zuwandte. »Ist Mom böse auf mich?«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte er. »Komm wieder runter und verabschiede dich.«
    »Ich kann nicht.« Nach so einer Szene sollte ich nach unten gehen und allen Leuten ins Gesicht sehen? Unmöglich. Ich fühlte mich gedemütigt, und zu verdanken hatte ich das ganz allein mir.
    »Was war zwischen Conrad und dir, Belly? Hattet ihr Streit? Habt ihr Schluss gemacht?«
    Merkwürdig, so einen Ausdruck wie Schluss machen aus Dads Mund zu hören. Ich konnte unmöglich mit ihm über das sprechen, was passiert war, dafür war alles einfach zu grotesk.
    »Dad, ich kann mit dir nicht über solche Sachen reden. Würdest du bitte rausgehen? Ich will allein sein.«
    »Ist gut«, sagte er, und ich hörte ihm an, wie verletzt er war. »Soll ich deine Mutter holen?«
    Mom war nun wirklich der letzte Mensch, den ich jetzt brauchen konnte, deshalb sagte ich sofort: »Nein, bitte nicht.«
    Das Bett knarrte, als mein Vater aufstand. Er schloss die Tür hinter sich.
    Der einzige Mensch, den ich bei mir haben wollte, war Susannah. Nur sie. Und auf einmal sah ich es vor mir, glasklar: Nie wieder würde ich irgendjemandes Liebling sein. Nie wieder würde ich Kind sein, jedenfalls nicht auf dieselbe Weise. All das war vorbei. Susannah war wirklich tot.
    Ich hoffte nur, dass Conrad gut zugehört hatte. Ich hoffte, ich würde ihn nie wieder sehen. Wenn ich ihn je wieder ansehen müsste, wenn er mich noch einmal so ansehen würde wie an diesem Tag – ich würde daran zerbrechen.

6
    3. Juli
    Als am nächsten Morgen das Telefon läutete, war mein erster Gedanke: So frühe Anrufe verheißen nie Gutes. Auf gewisse Weise hatte ich recht.
    Wahrscheinlich schlief ich noch halb, als ich seine Stimme hörte, denn zuerst dachte ich, es sei Conrad, und während einer langen Schrecksekunde stockte mir der Atem. Wenn Conrad wieder anrief – da konnte man schon mal das Atmen vergessen. Aber es war nicht Conrad. Es war Jeremiah.
    Immerhin waren die beiden Brüder und hatten ganz ähnliche Stimmen. Ähnlich ja, aber nicht gleich. Jeremiah sagte: »Belly, ich bin’s, Jeremiah. Conrad ist weggegangen.«
    »Weggegangen – wie meinst du das?« Mit einem Mal war ich hellwach, das Herz schlug mir bis zum Hals. Weggegangen, von uns gegangen – diese Worte hatten inzwischen eine andere Bedeutung erhalten, die sie früher nicht hatten. Etwas Endgültiges.
    »Er war im College, zu diesem Sommerkurs, aber vor ein paar Tagen ist er verschwunden und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Weißt du, wo er ist?«
    »Nein.« Seit Susannahs Beerdigung hatten Conrad und ich nicht mehr miteinander gesprochen.
    »Er hat zwei Seminare versäumt. Das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich.« Jeremiah klang verzweifelt, sogar panisch. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Er war sonst immer locker, lachte viel, war nie ernst. Aber er hatte recht – Conrad würde so etwas nie tun, niemals würde er einfach weggehen, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Jedenfalls nicht der alte Conrad. Nicht der, den ich schon liebte, seit ich zehn war.
    Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. »Weiß dein Dad davon?«
    »Ja, er ist total ausgerastet. Er kann mit solchen Sachen überhaupt nicht umgehen.« So etwas wäre in Susannahs Zuständigkeit gefallen, nicht in Mr. Fishers.
    »Was willst du tun, Jere?« Ich bemühte mich um einen Tonfall, wie meine Mutter ihn in solchen Momenten hatte. Ruhig, vernünftig. So als wäre ich nicht außer mir vor Angst bei dem Gedanken, dass Conrad weg war. Dabei glaubte ich gar nicht, dass er in ernsten Schwierigkeiten steckte. Es war vielmehr der Gedanke, er könnte wirklich weggegangen sein und womöglich nie mehr zurückkommen. Und das machte mir mehr Angst, als ich sagen konnte.
    »Ich weiß es nicht.« Jeremiah seufzte. »Seit Tagen hat er sein Handy aus. Meinst du, du könntest mir helfen, ihn zu suchen?«
    Sofort sagte ich: »Ja, natürlich. Natürlich kann ich das.«
    In dem Moment sah ich ganz klar. Dies war meine Chance, mit Conrad wieder ins Reine zu kommen. Auf so etwas hatte ich anscheinend gewartet, ohne es selbst zu wissen. Es war, als hätte ich die letzten beiden Monate schlafwandelnd verbracht

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