Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ohne dich kein Sommer - Roman

Ohne dich kein Sommer - Roman

Titel: Ohne dich kein Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
Vom Netzwerk:
auch.

5
    Bei der Beerdigung hatte ich meine alte Brille auf, das rote Kunststoffgestell. Es war, als würde man einen zu engen Mantel anziehen, einen von früher. Mir wurde direkt schwindlig, aber das war mir egal. Susannah hatte es immer gemocht, wenn ich die Brille aufhatte. Wie das schlaueste Mädchen im Raum sähe ich damit aus, hatte sie immer gesagt, eins von denen, die ein festes Ziel hätten und genau wüssten, wie sie dahinkämen. Ich trug meine Haare am Hinterkopf zusammengesteckt, denn diese Frisur hatte Susannah immer gefallen. Sie betone meine Gesichtszüge, hatte sie gemeint.
    Es war mir richtig vorgekommen, mich so zurechtzumachen, wie sie mich am liebsten gesehen hatte. Auch wenn ich wusste, dass sie diese Dinge nur gesagt hatte, um mir eine Freude zu machen, hatte es sich trotzdem richtig angefühlt. Was immer Susannah sagte, ich glaubte ihr. Selbst als sie mir versichert hatte, sie würde nie weggehen, hatte ich ihr geglaubt. Das hatten wir vermutlich alle, sogar meine Mutter. Und dann waren wir alle überrascht gewesen, als es passierte, selbst dann noch, als ihr Tod unausweichlich war, eine Tatsache, selbst dann haben wir es nicht wirklich geglaubt. Es schien unmöglich. Nicht unsere Susannah, nicht Beck. Dauernd hörte man von Leuten, die wieder gesund wurden, gegen alle Wahrscheinlichkeit. Ich war mir so sicher gewesen, dass Susannah eine von ihnen sein würde. Selbst wenn die Chance bei eins zu einer Million lag. Sie war ein ganz besonderer Mensch, wie es ihn nur einmal unter einer Million gab.
    Ihr Zustand verschlechterte sich schnell. So schnell, dass meine Mutter zwischen Susannahs Haus in Boston und unserem pendelte, erst jedes zweite Wochenende, dann öfter. Sie nahm sich Urlaub. Sie bezog ein Zimmer in Susannahs Haus.
    Der Anruf kam früh am Morgen. Es war noch dunkel draußen. Es waren schlechte Nachrichten, natürlich. Schlechte Nachrichten sind die einzigen, die nicht warten können. Sobald ich das Telefon läuten hörte, noch bevor ich richtig wach war, wusste ich Bescheid. Susannah war von uns gegangen. Ich lag in meinem Bett und wartete, dass meine Mutter hereinkam und es mir sagte. Ich hörte, wie sie in ihrem Zimmer herumlief, kurz darauf hörte ich Wasser in der Dusche laufen.
    Als sie auch danach nicht kam, ging ich in ihr Zimmer. Sie war am Packen, ihre Haare waren noch nass. Mit müden, leeren Augen sah sie mich an. »Beck ist tot«, sagte sie. Mehr nicht.
    Ich fühlte, wie mir ganz flau wurde, wie meine Knie zitterten, und ich setzte mich und lehnte mich gegen die Wand, um Halt zu finden. Ich hatte gedacht, ich wüsste, was das wäre, so ein ganz großer Kummer. Hatte geglaubt, beim Abschlussball plötzlich allein dazustehen, das würde mir das Herz brechen. Aber in Wirklichkeit war das gar nichts gewesen. Das jetzt, das war wirkliches Leid. Der Schmerz in der Brust, das Brennen hinter den Augen. Das Wissen darum, dass nichts mehr so sein würde wie vorher. Alles ist relativ, nehme ich an. Du glaubst, du weißt, was Liebe ist, du glaubst, du weißt, was wirklicher Schmerz ist, aber in Wirklichkeit weißt du es nicht. Gar nichts weißt du.
    Ich weiß nicht genau, wann ich angefangen habe zu weinen. Aber als ich erst einmal angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich bekam keine Luft mehr.
    Meine Mutter kam quer durchs Zimmer und kniete sich neben mich auf den Boden, umarmte mich, wiegte mich in ihren Armen. Sie selbst weinte nicht. Sie war wie abwesend.
    Am selben Tag noch ist meine Mutter nach Boston zurückgefahren. Dass sie überhaupt an jenem Tag zu Hause gewesen war, lag einzig und allein daran, dass sie nach mir schauen und frische Wäsche für sich holen wollte. Sie hatte geglaubt, es wäre noch mehr Zeit. Sie hätte dort sein sollen, als Susannah starb. Wenigstens wegen der Jungen. Ich war mir sicher, sie dachte dasselbe.
    Mit ihrer besten Professorinnenstimme erklärte sie Steven und mir, wir sollten zwei Tage später allein nachkommen, am Tag der Beisetzung. Die musste vorbereitet werden, so viel war noch zu tun, so viel zu erledigen, dabei konnte sie uns nicht brauchen.
    Susannah hatte natürlich genau gewusst, was sie tat, als sie meine Mutter zur Testamentsvollstreckerin erklärte. Zum einen gab es einfach keine Bessere für die Aufgabe, die beiden hatten vor Susannahs Tod vieles durchgesprochen. Zum anderen aber, und das war noch wichtiger, war meine Mutter immer dann in Hochform, wenn sie etwas zu tun hatte, wenn es darum ging, Dinge zu organisieren.

Weitere Kostenlose Bücher