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Ohne dich kein Sommer - Roman

Ohne dich kein Sommer - Roman

Titel: Ohne dich kein Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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alles vorüber war, rührte Jeremiah sich nicht von der Stelle. Er blieb einfach dort stehen, wo ihr Grab sein würde, und weinte. Meine Mutter ging schließlich zu ihm hin. Sie nahm seine Hand und redete leise auf ihn ein.
    Zurück in Susannahs Haus verdrückten Jeremiah, Steven und ich uns in Jeremiahs Zimmer. Mit unseren feinen Sachen saßen wir auf seinem Bett. »Wo ist Conrad?«, fragte ich. Ich hatte nicht vergessen, was ich mir fest vorgenommen hatte: dass ich an seiner Seite bleiben wollte. Aber er machte es mir nicht leicht, so wie er dauernd verschwand.
    »Ich denke, wir sollten ihn erst mal in Ruhe lassen«, sagte Jeremiah. »Habt ihr Hunger?«
    Den hatte ich allerdings, aber ich mochte es nicht sagen. »Was ist mit dir?«
    »Ja, irgendwie schon. Es gibt was zu essen, unten.« So wie er das Wort »unten« aussprach, wusste ich, dass er keine Lust hatte, zu all diesen Leuten hinunterzugehen und ihre mitleidigen Blicke zu spüren. Ist es nicht traurig , würden sie sagen, zwei so junge Söhne hinterlässt sie. Jeremiahs Freunde waren nicht mitgekommen zum Empfang, sie waren gleich nach der Beisetzung gegangen. Jetzt waren nur noch Erwachsene da.
    »Ich kann gehen«, bot ich an.
    »Danke«, sagte er erleichtert.
    Ich stand auf und zog die Tür hinter mir zu. Im Flur blieb ich stehen und betrachtete die Familienfotos, die in einheitlichen schwarzen Rahmen auf Passepartouts an der Wand hingen. Auf einem der Bilder trug Conrad eine Krawatte, und ihm fehlte ein Schneidezahn. Auf einem anderen musste Jeremiah acht oder neun gewesen sein, und er trug seine Baseballkappe von den Red Sox, die er einen ganzen Sommer lang nicht abgesetzt hat. Das sei sein Glückshut, hatte er behauptet, und so trug er ihn drei Monate lang tagein, tagaus. Von Zeit zu Zeit wusch Susannah die Mütze und legte sie wieder zurück in sein Zimmer, während er noch schlief.
    Unten drängten sich die Leute, man trank Kaffee und redete mit gedämpfter Stimme. Meine Mutter stand am Buffet und schnitt für wildfremde Menschen Kuchen auf. Jedenfalls für mich waren es wildfremde Menschen. Ich fragte mich, ob meine Mutter sie kannte oder ob diese Leute wussten, wer sie für Susannah gewesen war, dass sie ihre beste Freundin war, dass sie fast ihr ganzes Leben lang jeden Sommer miteinander verbracht hatten.
    Ich schnappte mir zwei Teller, und meine Mutter half mir, sie vollzuladen. »Geht’s euch so weit gut da oben?«, fragte sie, während sie ein Stück Blauschimmelkäse auf einen der Teller legte.
    Ich nickte und schob den Käse wieder zurück. »Jeremiah mag keinen Schimmelkäse«, erklärte ich ihr. Dann nahm ich eine Handvoll Salzcracker und ein paar grüne Trauben. »Hast du Conrad gesehen?«
    »Ich glaube, er ist unten, im Souterrain«, sagte sie, und während sie die Käseplatte frisch anrichtete, fügte sie noch hinzu: »Wieso schaust du nicht mal nach ihm und bringst ihm einen Teller? Ich bringe diesen hier hoch zu den Jungs.«
    »Okay«, sagte ich. Gerade als ich mit dem Teller durchs Esszimmer ging, kamen Jeremiah und Steven doch noch herunter. Ich blieb stehen und beobachtete, wie Jeremiah mit Leuten sprach, wie er es geschehen ließ, dass sie seine Hand nahmen oder ihn umarmten. Unsere Blicke trafen sich, ich winkte ihm unauffällig zu, und er winkte ebenso zurück. Dabei verdrehte er ein bisschen die Augen – das galt der Frau, die seinen Arm gar nicht mehr loszulassen schien. Susannah wäre stolz gewesen auf ihren Sohn.
    Dann ging ich hinunter ins Souterrain. Es war mit Teppichboden ausgelegt und schallgedämpft. Susannah hatte das machen lassen, als Conrad mit der E-Gitarre anfing.
    Unten war es dämmrig, Conrad hatte kein Licht gemacht. Ich wartete, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann tastete ich mich Schritt für Schritt die Treppe hinunter.
    Ich hatte ihn schnell gefunden. Er lag auf der Couch, den Kopf auf den Schoß eines Mädchens gebettet. Sie strich ihm mit den Händen übers Haar, so selbstverständlich, als gehörten sie dorthin. Obwohl der Sommer kaum begonnen hatte, war ihre Haut schon gebräunt. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und die nackten Beine auf den Couchtisch gelegt. Conrad streichelte sie.
    Alles in mir zog sich zusammen, ich erstarrte.
    Ich hatte sie auf der Beerdigung gesehen und mich gefragt, wer sie wohl war. Ich fand sie ausgesprochen hübsch. Sie mochte aus Ostasien stammen, eine Inderin vielleicht. Sie hatte dunkles Haar und dunkle Augen und trug eine schwarz-weiß getupfte

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