Ohne dich kein Sommer - Roman
was ich sagen sollte, also stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Kühl und glatt fühlte sie sich an. Conrad lächelte mir kurz zu, dann drehte er sich um. »Ist dir kalt?«, fragte er im Gehen.
»Ein bisschen«, sagte ich und spürte, wie ich rot wurde.
»Ich mach noch mal Feuer.«
Während er mit dem Kamin beschäftigt war, entdeckte ich in der Speisekammer, neben den Tees und dem Lieblingskaffee meiner Mutter, eine Uraltschachtel Kakaopulver. An kühlen Regenabenden hatte Susannah uns immer heißen Kakao gekocht. Sie hatte ihn mit Milch gemacht, aber die gab es jetzt natürlich nicht, also nahm ich Wasser.
Als ich auf der Couch saß, in meinem Becher rührte und zusah, wie sich die Mini-Marshmallows auflösten, fühlte ich, wie schnell mein Herz schlug. Bestimmt eine Million mal pro Minute. In Conrads Nähe kam es mir immer so vor, als bekäme ich keine Luft.
Conrad saß keine Sekunde still. Er riss Zeitungspapier klein, hockte sich vor den Kamin, verlagerte immer wieder sein Gewicht, stocherte in der Glut.
»Magst du jetzt deinen Kakao?«, fragte ich.
Er schaute über die Schulter. »Sicher.« Dann setzte er sich neben mich auf die Couch und trank aus seinem alten Lieblingsbecher mit dem Simpsons -Motiv. »Schmeckt –«
»Toll?«
»Muffig.«
Wir sahen einander an und mussten lachen. »Nur dass du’s weißt, Kakao ist meine Spezialität. Und außerdem: Bitte, gern geschehen.« Ich trank meinen ersten Schluck. Er schmeckte wirklich ein bisschen muffig.
Conrad blinzelte mich an und legte mir einen Finger unters Kinn. Dann strich er mir mit dem Daumen über eine Wange, so als würde er Ruß wegwischen. »Hab ich Kakaopulver im Gesicht?«, fragte ich panisch.
»Nein«, antwortete er, »nur ein paar Schmutzflecken – ups, ich meine ein paar Sommersprossen.«
Lachend schlug ich ihm auf die Finger, und er fasste meine Hand und zog mich an sich. Er strich mir die Haare aus dem Gesicht, und ich fürchtete, er könne gehört haben, wie ich bei seiner Berührung heftig einatmete.
Es wurde zusehends dunkler draußen, und Conrad meinte seufzend: »Ich sollte dich langsam nach Hause bringen.«
Ich sah auf meine Uhr. Es war fünf. »Ja … wir sollten wohl mal los.«
Doch keiner von uns stand auf. Conrad hob eine Hand und wickelte eine Haarsträhne von mir um seine Finger wie Garn um eine Spule. »Du hast so wundervoll weiches Haar«, sagte er.
»Danke«, flüsterte ich. Noch nie war ich auf den Gedanken gekommen, meine Haare könnten irgendwie besonders sein und nicht total normal. Braune Haare waren sowieso nichts Besonderes, im Unterschied zu blonden oder schwarzen oder roten. Aber so wie er sie ansah, mich ansah, konnte man meinen, er wäre fasziniert von ihnen. Als würde er es niemals leid werden, sie zu berühren.
Wir küssten uns wieder, aber etwas war anders als am Abend. Jetzt hatten unsere Küsse nichts Langsames, Gelassenes mehr. Sein Blick war anders – so drängend, so voller Begierde, voller Sehnsucht … Wie bei jemandem, der seine Droge braucht. Pures Verlangen. Doch ich selbst empfand dieses Verlangen wohl noch intensiver.
Als ich ihn enger an mich zog, als ich meine Hände unter seinem Hemd an seinem Rücken hochgleiten ließ, bebte sein Körper einen Moment lang. »Sind meine Hände zu kalt?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er. Dann ließ er mich los und richtete sich auf. Sein Gesicht war gerötet, seine Haare standen im Nacken ab. »Lass uns nichts überstürzen«, sagte er.
Ich richtete mich ebenfalls auf. »Aber ich dachte, du hättest schon …« Ich wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte. Es war furchtbar peinlich. Ich selbst hatte es ja noch nie gemacht.
Conrad wurde noch röter. »Ja«, sagte er. »Ich meine, ich schon. Aber du nicht.«
»Oh«, sagte ich und schaute auf meine Socken. Dann sah ich ihm wieder ins Gesicht. »Woher willst du das wissen?«
Jetzt wurde er rot wie eine Tomate und stotterte: »Ich dachte einfach, ich meine – ich ging einfach mal davon aus.«
»Du dachtest, ich hätte überhaupt keine Erfahrung, stimmt’s?«
»Ja, ich meine, nein.«
»Du solltest nicht einfach von irgendwas ausgehen.«
»Tut mir leid.« Er zögerte. »Das heißt – hast du?«
Ich sah ihn nur an.
Als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, stoppte ich ihn. »Nein, hab ich nicht. Nicht einmal annähernd.«
Dann beugte ich mich vor und küsste ihn auf die Wange. Ich empfand es als ein Privileg, ihn einfach küssen zu können, wann immer
Weitere Kostenlose Bücher