Ohne dich kein Sommer - Roman
tragen wollte. Meinem Gefühl nach gehörte sie mir.
15
Bevor wir zum Auto gingen, suchte ich noch schnell Conrads Bücher und Hefte zusammen und stopfte so viel wie möglich in den North-Face-Rucksack, den ich in Conrads Schrank gefunden hatte. Den Laptop drückte ich Jeremiah in die Arme. »So kann er wenigstens für seine Prüfungen am Montag lernen.« Er zwinkerte mir zu. »Ganz schön schlau, Belly Conklin.«
Auf dem Weg gingen wir noch beim Wohnheimtutor vorbei. Ari saß bei offener Tür am Schreibtisch. Jeremiah schaute um die Ecke und sagte: »Hey, Ari. Ich bin Conrads Bruder, Jeremiah. Wir haben Conrad gefunden. Danke noch mal für die Info.«
Ari lächelte herzlich. »Kein Problem.« Jeremiah nahm alle Menschen sofort für sich ein. Jeder wollte mit Jeremiah Fisher befreundet sein.
Und dann ging’s los, auf direktem Weg nach Cousins. Mit heruntergelassenen Fenstern und voll aufgedrehtem Radio.
Geredet haben wir nicht viel, doch dieses Mal störte es mich nicht. Ich glaube, jeder von uns hatte genug mit seinen eigenen Gedanken zu tun. Ich dachte an das letzte Mal, als ich die Strecke gefahren war. Nur dass damals nicht Jeremiah neben mir gesessen hatte. Sondern Conrad.
16
Es war zweifellos eine der besten Nächte meines Lebens. Zusammen mit dem Silvesterabend in Disney World, als ich neun war. Damals waren meine Eltern noch verheiratet gewesen. Wir hatten dem Feuerwerk zugesehen, das direkt über Cinderellas Schloss hochging, und nicht einmal Steven hatte was zu meckern gehabt.
Als er anrief, erkannte ich seine Stimme erst gar nicht, teils weil ich überhaupt nicht damit rechnete, teils weil ich schon im Halbschlaf war. »Ich ruf aus dem Auto an, ich bin auf dem Weg zu euch. Kann ich dich sehen?«
Es war halb eins nachts. Boston war fünfeinhalb Stunden entfernt. Er war den ganzen Abend hindurch gefahren. Um mich zu sehen.
Ich sagte ihm, er solle unten an der Straßenecke parken, ich würde dort hinkommen, nachdem meine Mutter schlafen gegangen wäre. Er sagte, er werde warten.
Ich löschte das Licht, stellte mich ans Fenster und hielt Ausschau nach Scheinwerferlichtern. Als ich seinen Wagen sah, wäre ich am liebsten sofort rausgerannt, aber ich musste warten. Meine Mutter pusselte noch immer in ihrem Zimmer herum, und ich wusste, sie würde noch mindestens eine halbe Stunde lesen, bevor sie einschlief. Zu wissen, dass er da draußen auf mich wartete, und nicht zu ihm gehen zu können war wie Folter.
Im Dunkeln zog ich den Schal und die Mütze an, die meine Großmutter mir zu Weihnachten gestrickt hatte. Dann schloss ich die Schlafzimmertür hinter mir und schlich auf Zehenspitzen durch den Flur bis zur Tür meiner Mutter und presste ein Ohr daran. Das Licht war aus, Mom schnarchte leise. Steven war noch nicht zu Hause, das war mein Glück, denn er hatte einen leichten Schlaf, genau wie unser Dad.
Endlich war meine Mutter eingeschlafen, im ganzen Haus war es still und dunkel, nur am Christbaum brannten die Lichter. Wir ließen sie immer die ganze Nacht über an, weil sich das so anfühlte, als wäre immer noch Weihnachten, als könnte jeden Moment wieder der Weihnachtsmann mit Geschenken auftauchen. Eine Nachricht für meine Mutter schrieb ich nicht, ich würde sie am Morgen anrufen, wenn sie wach wurde und sich fragte, wo ich sei.
Ich schlich die Treppe hinunter, mied die knarrende Stufe in der Mitte, aber sobald ich aus dem Haus war, flog ich die Eingangsstufen hinunter und über den gefrorenen Rasen. Er knirschte unter den Sohlen meiner Sneakers. Ich hatte völlig vergessen, meinen Mantel anzuziehen. An Schal und Mütze hatte ich gedacht, aber nicht an den Mantel.
Sein Wagen stand an der Ecke, wie verabredet, ohne Licht. Ich öffnete die Beifahrertür, als hätte ich das schon unendlich oft gemacht.
Ich steckte den Kopf hinein, stieg aber nicht ein, noch nicht. Erst wollte ich ihn ansehen. Es war Winter, und er trug ein graues Fleece. Seine Wangen waren rosig von der Kälte, seine Sonnenbräune war verblasst, trotzdem sah er aus wie immer. »Hey«, sagte ich, und dann stieg ich ein.
»Du hast keinen Mantel an«, sagte er.
»So kalt ist es ja nicht«, sagte ich, obwohl es das sehr wohl war und obwohl ich zitterte, während ich das sagte.
»Hier«, sagt er, schlüpfte aus seinem Fleece und reichte es mir.
Ich zog es an. Es war warm, und es roch nicht nach Rauch. Es roch einfach nur nach Conrad. Er hatte also tatsächlich mit dem Rauchen aufgehört. Bei dem Gedanken musste ich
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