Ohne dich kein Sommer - Roman
auf seine Brust legte, fühlte ich, dass sein Herz ebenso schnell schlug wie meins. Ich öffnete die Augen ein winziges bisschen und sah, dass seine geschlossen waren. Aus irgendeinem Grund machte mich das froh. Mir fiel auf, dass seine Wimpern länger als meine waren.
Er schlief als Erster ein. Ich wusste, dass man nicht schlafen sollte, solange das Feuer im Kamin nicht völlig heruntergebrannt war, also hielt ich mich wach. Eine ganze Weile sah ich Conrad einfach beim Schlafen zu. So wie ihm das Haar in die Stirn fiel, sah er auf einmal wie ein kleiner Junge aus. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er mir jemals so jung vorgekommen war. Als ich ganz sicher war, dass er schlief, beugte ich mich über ihn und flüsterte: »Conrad, es gibt nur dich. Für mich hat es immer nur dich gegeben.«
Meine Mutter rastete aus, als sie morgens feststellte, dass ich nicht zu Hause war. Zweimal versuchte sie mich anzurufen, aber ich hörte es nicht, weil ich noch schlief. Als sie wutentbrannt einen dritten Versuch machte, fragte ich: »Hast du meine Nachricht denn nicht gefunden?«
Erst dann fiel mir ein, dass ich keine hinterlassen hatte.
»Nein, hab ich nicht. Und, Belly: Wehe, du verlässt noch einmal mitten in der Nacht das Haus, ohne mir Bescheid zu sagen.«
»Auch wenn ich nur einen kleinen Mitternachtsspaziergang mache?«, witzelte ich. Meine Mutter zum Lachen zu bringen war in solchen Situationen immer das Beste. Wenn ich einen Witz machte, war ihr Ärger wie weggeblasen. Also stimmte ich einen alten Lieblingssong von ihr an: I go out walkin’, after midnight, out in the moonlight.
»Nicht witzig«, sagte sie streng. Sie sprach in kurzen, abgehackten Sätzen. »Wo bist du?«
Ich zögerte. Nichts fand meine Mutter schlimmer als Lügen. Und dahinterkommen würde sie sowieso. Sie war die reinste Hellseherin. »In, äh, Cousins?«
Sie holte scharf Luft. »Mit wem?« Ich warf einen Blick auf Conrad. Er hörte aufmerksam zu. Das passte mir gar nicht. »Conrad«, sagte ich mit gesenkter Stimme.
Ihre Reaktion überraschte mich. Ich hörte sie wieder atmen, aber dieses Mal klang es eher nach einem Seufzer der Erleichterung. »Mit Conrad bist du da?«
»Ja.«
»Wie geht es ihm?« Dafür, dass sie doch eben offenbar noch so wütend auf mich gewesen war, war das eine seltsame Frage.
Ich lächelte Conrad an und fächelte mir Luft zu, um ihm zu zeigen, dass das wohl gerade noch mal gut gegangen war. Er zwinkerte mir zu. »Großartig«, sagte ich. Dabei spürte ich, wie meine Anspannung nachließ.
»Gut«, sagte meine Mutter. »Gut«, aber es hörte sich mehr nach einem Selbstgespräch an. »Belly, ich will, dass du heute Abend nach Hause kommst. Ist das klar?«
»Ja«, sagte ich dankbar. Ich hatte angenommen, sie würde verlangen, dass wir sofort aufbrechen.
»Sag Conrad, er soll vorsichtig fahren.« Sie zögerte. »Und noch was, Belly.«
»Ja, Laurel?« Sie musste immer schmunzeln, wenn ich sie beim Vornamen nannte.
»Vergnüg dich. Es wird das letzte Mal sein für lange, lange Zeit.«
Ich stöhnte. »Wieso? Hab ich Hausarrest?« Das wäre ganz was Neues. Noch nie war ich zu Hausarrest verdonnert worden. Andererseits hatte ich meiner Mutter wohl auch noch nie Anlass dazu gegeben.
»Das war eine ausgesprochen blöde Frage!«
Da sie nicht mehr wütend war, konnte ich mir meine Antwort nicht verkneifen. »Du sagst doch immer, es gibt keine blöden Fragen?«
Sie legte auf. Aber ich wusste, ich hatte sie zum Schmunzeln gebracht.
Ich klappte mein Handy zu und sah Conrad an. »Und was machen wir jetzt?«
»Was immer du willst.«
»Dann gehen wir zum Strand.«
Genauso machten wir es auch. Wir zogen uns warm an und rannten zum Strand in Gummistiefeln, die wir in der Abstellkammer gefunden hatten. Weil ich Susannahs trug, die mir zwei Nummern zu groß waren, rutschte ich auf dem Sand immer wieder aus. Zweimal fiel ich sogar auf den Po. Ich musste die ganze Zeit lachen, aber ich konnte mich selbst nicht hören, so laut heulte der Sturm. Als wir ins Haus zurückkamen, legte ich meine eiskalten Hände auf seine Wangen, und anstatt sie wegzuschieben, sagte er: »Aah, das fühlt sich gut an.«
»Das kommt daher, weil du so kaltherzig bist.«
Er steckte meine Hände in seine Jackentaschen und sagte so leise, dass ich mir gar nicht sicher war, ob ich ihn richtig gehört hatte: »Für alle anderen gilt das vielleicht. Aber nicht für dich.« Dabei sah er mich nicht an, und ich wusste, er meinte es ernst.
Ich wusste nicht,
Weitere Kostenlose Bücher