Ohne dich kein Sommer - Roman
Veranda.
Ende der Unterhaltung.
26
Jeremiah
Mein ganzes Leben lang habe ich zu Conrad aufgesehen. Immer war er klüger als ich, schneller als ich – einfach besser. Aber im Grunde habe ich es ihm nie übel genommen. So war er nun mal. Er konnte nichts dazu, dass er gut war in allem, was er anpackte. Er konnte nichts dazu, dass er nie verlor, wenn wir Uno spielten oder Wettrennen machten, und dass er immer die besseren Noten hatte. Vielleicht brauchte ein Teil von mir das sogar, jemanden, zu dem ich aufschauen konnte. Meinen großen Bruder, der nie verlor.
Aber dann passierte etwas; damals war ich dreizehn. Conrad und ich machten gerade einen unserer Kämpfe. Unser Dad spornte uns immer dazu an. Er selbst hatte in seinen Collegejahren zur Wrestling-Mannschaft gehört, und es machte ihm Spaß, uns neue Techniken beizubringen. Wir kämpften also im Wohnzimmer, während meine Mom in der Küche war und Jakobsmuscheln im Speckmantel machte. Sie hatten Gäste zum Abendessen eingeladen, und diese speziellen Muscheln waren eins von Dads Leib- und Magengerichten.
»Nimm ihn in den Schwitzkasten, Con«, sagte mein Dad.
Wir steigerten uns richtig rein. Schon hatten wir einen von Moms silbernen Kerzenleuchtern umgeworfen. Conrad atmete schwer; er hatte eigentlich gedacht, er könne mich mit links besiegen. Aber so langsam wurde ich richtig gut, ich gab nicht auf. Er hielt meinen Kopf fest unter einem Arm, aber ich bekam sein Knie zu packen, und wir gingen beide zu Boden. Ich merkte, dass sich etwas änderte, fast hatte ich ihn. Ich würde gewinnen. Mein Dad würde so stolz sein.
Als ich ihn tatsächlich fest auf den Boden drücken konnte, hörte ich Dads Stimme: »Connie, ich hab dir doch gesagt, du sollst die Knie gebeugt halten.«
Ich schaute hoch. Dad hatte diesen bestimmten Ausdruck, den er manchmal hatte, wenn Conrad irgendwas nicht richtig machte. Dann kniff er die Augen zusammen und sah ausgesprochen irritiert aus. Mich sah er nie auf die Weise an. Er sagte nicht: »Gut gemacht, Jere.« Er fing einfach an, Conrad zu kritisieren, ihm all das zu sagen, was er hätte besser machen können. Und Conrad ließ es sich gefallen. Er nickte. Sein Kopf war hochrot, Schweiß lief ihm über die Stirn. Dann nickte er mir zu, und an seinem Tonfall hörte ich, dass er es ernst meinte: »Gut gemacht, Jere.«
Erst dann kam auch ein Lob von Dad: »Ja, gut gemacht, Jere.«
Auf einmal war mir nach Weinen zumute. Nie mehr wollte ich Conrad besiegen. Es lohnte sich nicht.
Nach dieser Szene im Haus bin ich ins Auto gestiegen und einfach losgefahren. Ich hatte keine Ahnung, wohin, ich wusste nicht mal, ob ich überhaupt zurückwollte. Ein Teil von mir hatte Lust, Conrad mit dem ganzen Scheißdreck allein zu lassen, so wie er es ja von Anfang an gewollt hatte. Sollte Belly doch mit ihm klarkommen. Sollten sie sich kümmern.
Eine halbe Stunde fuhr ich so durch die Gegend. Doch im Grunde wusste ich schon da, dass ich irgendwann umkehren würde. Ich konnte nicht einfach weggehen. Das mochte Conrads Art sein, aber nicht meine. Und außerdem war es wirklich ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen, was ich zu Conrad gesagt hatte – dass er nicht für unsere Mom da gewesen sei. Er hatte ja nicht wissen können, dass sie sterben würde, er war im College gewesen. Es war nicht seine Schuld. Als ihr Zustand sich wieder verschlechterte, war er gar nicht zu Hause gewesen. Es ging alles so schnell, er konnte es nicht wissen. Hätte er es gewusst, er wäre zu Hause geblieben. Ganz sicher.
Niemals würde unser Dad es zum »Vater des Jahres« bringen. Er hatte seine Schwächen, eindeutig. Aber als es darauf ankam, als es zu Ende ging, da ist er gekommen. Und hat das Richtige gesagt. Er hat unsere Mom glücklich gemacht. Conrad konnte es nur nicht sehen. Er wollte nicht.
Ich bin dann nicht auf direktem Weg zurückgefahren, sondern habe erst noch einen Stopp bei der Pizzeria eingelegt. Es wurde Abend, und ich wusste, wir hatten nichts zu essen im Haus. Ein Typ, den ich kannte, Mikey, arbeitete an der Kasse. Ich orderte eine große Pizza mit allem und fragte nach Ron. Der sei gerade unterwegs, Pizza ausfahren, erklärte mir Mikey, aber er würde bald zurück sein, ich solle warten.
Ron lebte das ganze Jahr über in Cousins. Tagsüber besuchte er das Community College, abends fuhr er Pizza aus. Schon immer hatte er Minderjährigen Alkohol gekauft. Man steckte ihm einen Zwanziger zu, und er beschaffte einem, was man wollte.
Ich wusste nur eins:
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