Ohne dich kein Sommer - Roman
Wenn dies wirklich unser letzter Abend hier sein sollte, dann konnten wir ihn nicht einfach so zu Ende gehen lassen.
Als ich zurückkam, saß Conrad auf der Terrasse vorm Haus. Ich wusste, er hatte auf mich gewartet. Ich wusste, er hatte ein schlechtes Gewissen wegen seiner Bemerkung. Ich hupte, streckte den Kopf aus dem Fenster und brüllte: »Komm, hilf mir mal mit dem Zeug.«
Er kam zum Auto, warf einen Blick auf das Bier und die Tüte mit den hochprozentigen Sachen und fragte: »Ron?«
»Jep.« Ich packte zwei Sixpacks Bier und reichte sie ihm. »Wir machen eine Party.«
27
Nach dem Krach, nachdem Mr. Fisher gefahren war, ging ich hinauf in mein Zimmer und blieb dort. Ich legte keinen gesteigerten Wert darauf, dabei zu sein, wenn Jeremiah zurückkam, für den Fall, dass Conrad und er in eine zweite Runde gingen. Im Unterschied zu Steven und mir stritten die beiden so gut wie nie. In all den Jahren hatte ich das höchstens dreimal erlebt. Jeremiah sah zu Conrad auf, und Conrad passte auf Jeremiah auf. So einfach war das.
Ich machte mich daran, die Schubladen und den Schrank durchzusehen, vielleicht fand ich ja noch irgendwelche vergessenen Dinge von mir. Meine Mom hatte immer ziemlich streng darauf geachtet, dass wir auch bloß all unseren Kram wieder einpackten und mitnahmen, aber man konnte ja nie wissen. Sicher ist sicher, dachte ich mir. Mr. Fisher würde den Möbelleuten sicher sagen, sie sollten allen Krempel, den sie noch fanden, wegwerfen.
Ganz hinten in der Schreibtischschublade entdeckte ich ein altes Schreibheft aus der Zeit, als ich sämtliche Bücher über Harriet, die kleine Detektivin verschlang. Die Seiten hatte ich mit rosa, grünem und gelbem Filzstift angemalt. Tagelang war ich den Jungs hinterhergeschlichen und hatte mir Notizen gemacht, bis Steven so genervt war, dass er mich bei Mom verpetzte.
In meinem Heft las sich das dann zum Beispiel so:
28. Juni
Jeremiah dabei ertappt, wie er vor dem Spiegel getanzt hat, als er dachte, keiner sieht ihn. Aber ich hab ihn gesehen. Pech für ihn!
30. Juni
Conrad hat wieder mal das ganze Blaubeereis aufgegessen, dabei darf er das gar nicht. Aber ich hab ihn nicht verraten.
1. Juli
Steven hat mich getreten, ganz ohne Grund.
Und so weiter und so weiter. Mitte Juli war ich es dann leid und hörte auf. In dem Jahr, mit acht, war ich immer den Großen hinterhergedackelt. Wie wäre ich damals froh gewesen, bei diesem letzten Abenteuer der Jungs dabei sein zu dürfen, während Steven zu Hause bleiben musste.
Ich fand noch so dies und das, nichts Wichtiges: ein halb leeres Töpfchen Lipgloss mit Kirschgeschmack, ein paar verstaubte Haarbänder. Auf dem Bord an der Wand standen noch meine alten Judy-Blume-Bücher, und gut versteckt dahinter die Liebesromane von V. C. Andrews. Ich würde den ganzen Kram wohl einfach hierlassen.
Nur einer musste unbedingt mit: Junior Mint, mein alter Stoff-Eisbär, den Conrad mir vor einer Million Jahren mal unten an der Strandpromenade geschossen hatte. Ich konnte unmöglich zulassen, dass Junior Mint einfach auf den Müll kam. Vor langer, langer Zeit war er mir mal sehr wichtig gewesen.
Ich blieb ziemlich lange oben und schaute mir meine alten Sachen an. Etwas fand ich doch noch, was ich behalten wollte: ein Kinderteleskop. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem mein Vater es mir kaufte. Das war in einem der kleinen Antikläden an der Promenade. Es war teuer, aber Dad fand, ich sollte es haben. Ich war damals total fasziniert von Sternen und Sternbildern und Kometen, und Dad dachte, vielleicht würde aus mir mal eine Astronomin. Eine Zeit lang hatte ich auch wirklich Spaß daran, aber es war eben nur eine Phase. Es gefiel mir, wie mein Vater mich damals ansah, so als fände er, ich käme ganz nach ihm. Die Tochter ihres Vaters.
Es kam auch jetzt noch manchmal vor, dass er mich auf die Art ansah – wenn wir essen gingen und ich um Tabascosoße bat, wenn ich im Radio NPR einschaltete, das öffentliche Radioprogramm, ohne dass er mich darum bitten musste. Tabascosoße mochte ich sehr, NPR nicht ganz so. Aber ich wusste, es machte ihn stolz, deshalb tat ich es.
Ich war froh, dass er mein Dad war und nicht Mr. Fisher. Nie hätte er mich angebrüllt oder beschimpft, und er wäre auch nie ausgerastet wegen verspritztem Kool-Aid. So ein Mensch war er nicht. Ich hatte es eigentlich bis jetzt nie richtig zu schätzen gewusst, dass er der war, der er war.
28
Mein Vater besuchte uns selten im Sommerhaus, höchstens mal
Weitere Kostenlose Bücher