Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
hatte und Vater beim Kochlöffelschwingen alles andere als eine freudige Miene zog. Das war mein letzter Karnevalsbesuch, den Vater mir an diesem Tag schnell austrieb.
In der Pubertät unternahm ich einen erneuten Versuch, mich der deutschen Kultur anzunehmen, und nichts ist besser als der Kontakt mit den Einheimischen. Ich hatte mich mit Walter angefreundet, ein Einzelkind, der alles von seinen Eltern bekam, sich dafür aber selten dankbar zeigte. Wir verbrachten viele Tage zusammen. An manchen Tagen wusste ich nicht, ob seine Eltern ihn erzogen oder Walter seine Eltern. Wenn die Mutter ihn aufforderte, sein Zimmer aufzuräumen, antwortete er ihr fast immer mit den Worten: »Lass mich zufrieden, du blöde Kuh!«, und er beließ sein Zimmer so chaotisch, wie es war. Die Eltern waren machtlos. Ich war von Walters Rebellion gegen seine Eltern, die er fest im Griff hatte, fasziniert und dachte mir, dass ich diese deutsche Kultur auch in meinem Zuhause einführen müsste.
Es dauerte nicht lange, bis Vater mich aufforderte, mein Zimmer aufzuräumen. Walter vor Augen entgegnete ich ihm selbstbewusst: »Mach doch selber!«
»Was hast du gerade gesagt?«, fragte Vater auf Koreanisch nach.
»Mach doch selber!«, wiederholte ich in aufrechter Haltung.
»Okay!« Das waren Vaters letzte Worte, bevor er mein Zimmer binnen weniger Minuten in eine apokalyptische Trümmerwüste verwandelte und meine Lieblingssachen in die Mülltonne steckte. Mein Zimmer sah aus wie Dresden nach dem alliierten Luftangriff.
Kollateralschaden, dachte ich nur. Ich sagte meinem Vater, dass ich zukünftig die Polizei rufen würde, um meine Rechte einzufordern.
Vater wusste, dass ich bluffte. Er konnte es von meinen Augen ablesen. Zudem kannte sich Vater im deutschen Rechtssystem nicht aus. Für ihn galt das koreanische Recht der Sechzigerjahre, auch wenn Vater in Deutschland lebte. Da war er ganz Amerika und blieb stur in seiner extraterritorialen Haltung. Andere Länder, andere Sitten? Das gilt nicht für Vater. Für ihn gilt: »Andere Länder, meine Sitten«. Sichtlich unbeeindruckt sagte Vater: »Dann ruf die Polizei an! Ich tippe dir sogar die Nummer ein, wenn du möchtest.« Dazu kam es nie. Bis die Polizei einträfe, würden viele wertvolle Minuten verstreichen, in denen Vater, der nicht umsonst einen schwarzen Gürtel in Taekwondo besitzt, es wie einen Unfall hätte aussehen lassen können.
Einige Tage später traf ich erneut auf Walter. Ich erzählte ihm von dem Vorfall und kündigte ihm mit sofortiger Wirkung die Freundschaft. Danach rief ich einen koreanischen Kumpel an, den ich schon viel zu lange vernachlässigt hatte.
BILDUNGSAUSLÄNDER, FREUNDE UND WARTEN AUF EINE CHANCE
N ach den Vereinten Nationen gilt ein Mensch als extrem arm, wenn er seinen Lebensunterhalt mit 1,25 US-Dollar am Tag bestreiten muss. Die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen betrug im Jahr 2005 1,4 Milliarden. Ich war einer von ihnen. Ich gebe zu, das ist Meckern auf hohem Niveau – Probleme der ersten Welt.
Während meiner Studienzeit lebte ich oft von einem Dollar pro Tag. Da ich keine Green Card besaß, hatte ich nur die Berechtigung, einen gewissen Betrag auf dem Campus der Universität zu erwirtschaften. Der Lohn aber füllte nie mein Konto, sondern das der Universität. Mit der Arbeit auf dem Campus konnte ich einen Teil meiner Schulden begleichen, die wegen der hohen Studiengebühren anfielen. Studium, Sport und Arbeit unter einen Hut zu kriegen war nicht immer leicht, doch war es mir wichtig, meine Eltern finanziell nicht noch mehr zu belasten.
Während der Semesterferien renovierte ich alle Studentenwohnheime. Wenn ich mir ein Flugticket nach Deutschland leisten konnte, nutzte ich die Zeit, um auf dem Bau, an Fließbändern oder an Verpackstationen Geld für die teuren Bücher im neuen Semester zu verdienen. Mein Ziel war es, ein Praktikum im Sekretariat der Vereinten Nationen zu absolvieren. Aber wer kann sich schon ein unentgeltliches zweimonatiges Praktikum in New York City mit seinen horrenden Mieten leisten? Die deutsche Botschaft in New York war keine große Unterstützung bei der Frage, wie man New York City als armer Student überleben könnte. Ich hatte schon einmal in einer Telefonzelle im New Yorker LaGuardia-Flughafen geschlafen. Zudem hatte ich dank Vater Erfahrung damit, wie es ist, in einer winzigen Gästetoilette zu nächtigen. Alles hat im Leben einen Sinn, selbst die spartanische Erziehung Vaters. Solange wir in seinem Haus
Weitere Kostenlose Bücher