Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
die Enkelkinder aufzupassen, wenn ihr mir einen guten Stundenlohn gebt!«
Ein Inserat des koreanischen Bergarbeitervereins »Glück auf!« in der Kyoposhinmun warb für eine politische Bildungsreise nach Korea, die vom koreanischen Außenministerium gefördert wurde. Mutter bewegte Vater dazu, Herrn Kim, den Organisator der Reise und Vorstand des »Glück-auf!«-Vereins, anzurufen. Vater sollte sich für die Koreareise anmelden. Wie so oft dachte Vater an die Familie. Er hatte Bedenken. Vater wollte niemandem finanziell zur Last fallen. Denn trotz finanzieller Unterstützung durch das koreanische Außenministerium musste man das Geld für das Flugticket und andere Nebenkosten selbst aufbringen. Die mickrige Rente, die Vater seit seiner Frühpensionierung erhält, reichte nicht aus. Als Mutter uns davon berichtete, legten Julia, Simone und ich das Geld sofort zusammen. Vater sollte nach Korea, das war unser Ziel. Schließlich konnten wir Vater davon überzeugen, sich für die Koreareise anzumelden.
Vater war schon seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr in Daehan-Minguk gewesen. Das war mir bei meinem letzten Koreabesuch 2008 bewusst geworden, als ich eine neue Kassette für Vaters Karaoke-Maschine kaufen wollte. Im Yongsan Electronic Market musste ich nicht lange warten, bis sich ein Verkäufer den Weg zu mir bahnte und nach meinen Wünschen fragte. Als ich den Ajeoshi des Karaoke-Ladens fragte, ob er für die Assa-Karaoke-Maschine meines Vaters eine Kassette mit neuen Liedern habe, lachte er mich aus. Er winkte ab, setzte sich hin und fragte mich auf Koreanisch: »Leben Sie in der Steinzeit?! Diese Kassetten werden schon lange nicht mehr produziert … Mein junger Freund, wir sind im Zeitalter von CDs angelangt!«, fügte der Verkäufer besserwisserisch hinzu. Dass ich das Zeitalter von CDs verpasst habe, verdanke ich Vater, der Chinesischen Mauer, weil ihm alles, was mit CDs zu tun hatte, nicht geheuer war und uns womöglich vom Lernen für die Schule abgelenkt hätte. Die Karaoke-Maschine hatte Vater zu reinen Lernzwecken gekauft. Die Karaoke-Maschine sollte dazu dienen, dass wir Kinder durch das Singen alter koreanischer Volkslieder die koreanische Sprache erlernten.
Einige Tage vor seiner Rückkehr in die alte Heimat rief ich Vater aus Berlin an.
»Ich werde nach einer Woche zurückkehren. Mutter und Farah warten auf mich. Mach dir keine Sorgen! Was soll ich so lange in Korea bleiben? Ich werde nur die Gräber meiner Eltern pflegen und wieder zurückkommen«, versicherte mir Vater auf Koreanisch.
Wenn Vater über seine alte Heimat Korea spricht, dann nutzt er die gängige koreanische Floskel »Uri Nara« nicht mehr, was übersetzt so viel wie »unser Land« bedeutet. Er tut dies schon lange nicht mehr.
»Danke für das Geld, das du mir geschickt hast. Warum schickst du mir überhaupt Geld, obwohl du selber nichts hast! Ich melde mich, sobald ich in Korea angekommen bin«, sagte Vater zum Abschluss des Gespräches und legte auf.
Tante Won, die Vater Obba , »älterer Bruder«, nennt, gab Vater Taschengeld für seine Reise mit. Mit dem Geld sollte Vater die Dinge essen, die er schon so lange nicht mehr gegessen hatte und die Dinge kaufen, die er schon so lange nicht mehr kaufen konnte. Tante Won ist wie Mutter in den Sechzigerjahren als Krankenschwester nach Deutschland gekommen. Sie stammt genauso wie Vater aus der Hauptstadt der Gyeongsan-do -Provinz Daegu. Sie hat ihr Glück im Leben erst sehr spät gefunden und zu früh verloren. Reverend Dr. James Park, den ich nur »Reverend« nannte, war viele Jahrzehnte Pastor einer methodistischen Kirche in Philadelphia gewesen. Nach seiner Pensionierung kam Reverend nach Deutschland. In einer koreanischen Kirchengemeinde in Düsseldorf lernte Reverend Tante Won kennen.
»Er kam wie die Morgensonne und ging wie der Wind«, sagte Tante Won nach seinem Tod zu mir. Reverend war eine besondere Person. Er hat viel für unsere Familie getan. Ich vermisse ihn.
Der Tag von Vaters Rückkehr in seine alte Heimat rückte näher. Mutter, Julia, Simone und ich machten uns deshalb große Sorgen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September wurden alle Direktflüge von Düsseldorf nach Seoul-Incheon International Airport gestrichen. Alle Direktflüge nach Korea gingen nur noch von Frankfurt am Main aus. Die Anreise nach Frankfurt erfolgte via Düsseldorf Hauptbahnhof mit dem ICE. Vater war der Einzige, der sich keine Sorgen machte, dass er womöglich auf dem Weg nach Frankfurt
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