Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
diese Leistung ist Vater heute noch besonders stolz. Kofferpacken ist wahrhaftig eine Kunst, die nur zu gern unterschätzt wird. Vater erinnert mich ständig an seine sparsame Gepäckhandhabung, wenn ich mich auf Reisen begebe. Sein Eifer im Kofferpacken hat nach und nach auf mich abgefärbt. Bevor ich jedoch zu dieser Erkenntnis kam, musste ich erst meine eigenen Erfahrungen sammeln. Nach vielen Schweißtropfen durch das Schleppen des schweren Gepäcks, und zahlreichen verschlissenen Koffern, die wegen der Überfülle aus allen Nähten platzten, konvertierte ich zum Light-Traveler. Heute packe ich besser als jeder Migrant auf der Flucht. Meine Routine wird nur dann aus der Bahn geworfen, wenn es in Richtung »Heimat« geht, wie meine einheimischen Mitbürger an dieser Stelle bemerken würden. Dann feiern meine längst vergessen geglaubten alten Klamottenpackmarotten Revival.
Ich habe die dumme Angewohnheit, meine Reisen ins Land, in dem Europäer Langnasen genannt werden, immer in die heißeste und zugleich feuchteste Jahreszeit zu legen. Es ist nicht etwa die Sehnsucht, wie man vielleicht vermuten könnte, die mich an den Ort meiner Wurzeln verschlägt. Denn Sehnsucht verbindet man bekannterweise mit so etwas wie Heimat. Ich aber sehe meine Reisen ins Land, in dem man sich bei der Begrüßung nicht die Hände schüttelt, als Möglichkeit zum Aufladen meiner deutsch-koreanischen Batterien. Mein Körper, der sich zu lang von gen-modifizierten Lebensmitteln und ohnehin aus mehrheitlich westlichen Lebensmittelprodukten ernährt hat, ist für ein fernöstlich orientiertes Leben und dessen Klima nicht geeignet. Zu dieser Erkenntnis kam ich bisher bei jedem meiner Besuche im Land der Morgenstille.
Trotz der angespannten Lage zwischen Nord- und Südkorea habe ich mich mutig in den südkoreanischen Flieger gesetzt. Der Fall des Eisernen Vorhangs hat die Flüge nach Korea billiger und vor allem kürzer gemacht. Heute können koreanische Fluggesellschaften sorglos mitten durch russisches Gebiet fliegen, ohne zu befürchten, von russischen Raketen abgeschossen zu werden. Nach Glasnost und Perestroika ist die große Bruderliebe zwischen Mutter Russland und den nordkoreanischen Eidgenossen ein wenig abgekühlt. Ich erinnere mich, wenn auch nur wegen der Kälte und des Schnees, der überall lag, dass wir 1987 auf dem Weg nach Korea in Anchorage, Alaska, einen Zwischenstopp einlegten. Die Flugzeit betrug damals fast einen ganzen Tag. Heute schafft man die Strecke bei Rückenwind nonstop in weniger als elf Stunden.
Man bot mir einen Sitz in der Business Class an, weil eine Horde konsumhungriger japanischer Hausfrauenfinanzministerinnen in der Economy Class zusammensitzen und ihre Shoppingliste durchgehen wollte. Der koreanische Won ist seit längerem sehr schwach, zur Freude der kaufwütigen Japaner. Die Japaner können es nicht lassen, ihre Überlegenheit dadurch zu zeigen, dass sie ganze Shoppingmalls und Märkte leerkaufen und sich über die niedrigen koreanischen Preise lustig machen. Die geräumigen Sitze in der Business Class luden dazu ein, mit der Fernbedienung herumzuexperimentieren, ganz zum Leidwesen meines koreanischen Sitznachbarn, der mich grimmig anblickte. Da wir noch den ganzen Flug vor uns hatten, wollte ich es mir mit meinem Quasilandsmann nicht verscherzen. Zumal ich wusste, dass der ukrainische Innenminister Juri Luzenko und sein Sohn auf einem Flug von Frankfurt nach Korea wegen Randalierens und Trunkenheit vom Flug ausgeschlossen wurden. Ich wollte mein Glück nicht herausfordern. Außerdem hat das Land schon genug unter der Teilung zu leiden. Dann müssen nicht noch zwei Quasilandsmänner ihren Beitrag zur Trennung beisteuern.
Es ist immer wieder angenehm, in das Meer schwarzhaariger Köpfe einzutauchen, sich in den gelben Gesichtern der anderen zu verlieren, nicht hervorzustechen, auch wenn sich unter die Koreaner Japaner und Chinesen gemischt haben. Im koreanischen Flieger sehen sie alle gleich aus, so wie die freundlichen, elegant dahinschreitenden, stets gepflegt aussehenden Flugbegleiterinnen in ihren nussbraunen Uniformen.
Die Flugroute ging von Frankfurt über Astana, West-Sibirien, Novosibirsk und Irkutsk, wie ich dem Monitor des Entertainmentsystems entnahm. Kurz vor dem Landeanflug freute ich mich auf das Ausfüllen der Arrival Card und der Customs Declaration Form. Bei letzterem Dokument tue ich mich besonders schwer. Da wird gefragt, ob man Waffen wie etwa Messer, Armbrust,
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