Ohne jede Spur
Schlimmer noch, die Presse würde ihnen im Vorgarten auflauern.
«Wie haben Sie Ihre Frau getötet, Jason? Messer, Schusswaffe, Drahtschlinge? Ich wette, bei Ihren Erfahrungen dürfte Ihnen das nicht allzu schwer gefallen sein …»
Ein Sprecher wäre nicht schlecht, dachte er müßig. So lief das doch heute. Man wurde Opfer eines Verbrechens und heuerte Unterstützung an. Einen Anwalt als Interessenvertreter, einen Pressesprecher, der die Belange der Familie darstellte, und natürlich einen Impresario, der sich um das noch zu schreibende Buch und die Filmrechte kümmerte. Recht auf informationelle Selbstbestimmung? Auf ungestörte Trauer?
Von wegen. Deine schwangere Tochter wurde gekidnappt und getötet. Deine geliebte Frau wurde in der U-Bahn ermordet. Die Leiche deiner Freundin wurde gerade in einem Koffer entdeckt. Plötzlich gehört dein Leben den Fernsehsendern. Was für die Bestattung vorzubereiten ist, kannst du vergessen, denn du musst bei
Larry King
einen guten Eindruck machen. Vergiss es, deinem Kind zu erklären, dass Mommy nicht mehr nach Hause kommt, du musst dich zu Oprah auf die Couch setzen.
Verbrechen machten berühmt, ob man es wollte oder nicht.
Jason war wütend. Die Knöchel über dem Lenkrad wurden weiß; er fuhr zu schnell, weit über dem Tempolimit.
Er wollte dieses Leben nicht, wollte nicht auf seine Frau verzichten und um seine Tochter fürchten müssen.
Er zwang sich, tief ein- und langsam auszuatmen, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und die Schultern zu entspannen, den ganzen Stress abzuschütteln und zu lächeln – für
Candid Camera
.
Er bog in seine Straße ein. Natürlich, wie hätte es anders sein können: Da reihten sich, Stoßstange an Stoßstange, vier Übertragungswagen. Auch die Polizei fehlte nicht. Ein Streifenwagen parkte vor seinem Haus. Zwei uniformierte Beamte lehnten am Kotflügel, die Hände in die Hüften gestemmt und mit kritischem Blick auf die schicken Reporter und nachlässig gekleideten Kameraleute. Sie waren von Regionalsendern. Die überregionalen interessierten sich noch nicht für den Fall.
Aber das würde sich ändern, wenn Ethan Hastings in Erscheinung träte. Jede Wette.
Ree sperrte die Augen auf. «Ist da eine Party, Daddy?», fragte sie erwartungsvoll.
«Vielleicht feiern sie, weil wir Mr Smith gefunden haben.»
Er bremste ab, um in die Einfahrt einzuschwenken. Schon zuckten die ersten Blitzlichter. Er fuhr in die Einfahrt und stellte den Wagen ab. Die Journaille durfte sein Grundstück nicht betreten, also ließ er sich jede Menge Zeit, um den Gurt abzulegen und sich um Ree und den Kater zu kümmern.
Trauernder Ehemann, trauernder Ehemann.
Auf den Kameras steckten riesige Teleobjektive.
Er nahm sich vor, Mr Smith ins Haus zu tragen und Ree an die Hand zu nehmen. Was für ein Motiv: der Ehemann, geschunden und bandagiert, mit dem niedlichenKätzchen im Arm und der hübschen kleinen Tochter an der freien Hand. Ja, ihm würde Fanpost in Körben zugestellt werden.
Er fühlte sich wieder wie leer, war weder aufgebracht, traurig oder auch nur angenervt. Er hatte die innere Zone gefunden, in der er Ruhe finden konnte.
Mr Smith hockte auf seinem Schoß und spähte durchs Fenster nach draußen. Er hatte die Ohren aufgerichtet und zuckte mit dem Schwanz. Ree hatte sich schon von ihrem Gurt befreit und schaute ihn fragend an.
«Kannst du allein aussteigen, Schatz?», fragte er leise.
Sie nickte und starrte auf die Menge der Fremden auf dem Gehweg. «Daddy?»
«Keine Sorge, Schatz. Das sind Reporter. Deren Job ist es, Fragen zu stellen, so wie ich in meinem Job Fragen stellen muss. Nur, ich schreib alles auf, während die hier im Fernsehen darüber reden.»
Sie schaute ihn wieder an und ließ erkennen, dass sie Angst hatte.
Er drehte sich zu ihr um und berührte ihre Hand. «Sie müssen auf dem Gehweg bleiben. So will es das Gesetz. Ins Haus dürfen sie nicht. Wenn wir jetzt aussteigen, wird’s vielleicht ein bisschen laut werden. Alle rufen durcheinander und stellen seltsame Fragen. Und nicht dass du glaubst, sie würden die Hand heben.»
Ree blinzelte ihn verständnislos an. «Die Hand heben?»
«Ja, sie warten nicht wie in der Schule, bis sie drankommen, sondern reden einfach drauflos, über die Köpfe der anderen hinweg.»
«Das würde Mrs Lizbet nie erlauben», entgegnete Ree entschieden.
«Das sollte man auch nicht. Und wenn wir jetzt aussteigen, wirst du sehen, warum es so wichtig ist, dass man sich in der Schule
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